Heike Eva Schmidt
Dolch getötet hatte: Er wollte mich langsam sterben sehen. Deshalb hatte er seine Schergen gerufen.
Mit einem verklärten Lächeln, den Wahnsinn in den Augen, drehte er sich zu mir herum. Während er zur Tür ging, um mich den Häschern auszuliefern, sagte er in einem leisen Singsang:
»Hexe, Hexe, du sollst brennen …«
Kapitel 14
»… mit dem Kopf nach unten hängen, Teufelslieder sollst du singen, bis die Flammen dich umringen …«
Trotz der dicken Mauern drangen die hellen Kinderstimmen bis hinunter in das finsterklamme Verlies des Drudenhauses. Dorothea hörte den Gesang, hörte die Zeilen, die bald für sie bestimmt sein würden, und ein Gefühl, schlimmer als die Angst vor dem Tod, ergriff ihren Körper und lähmte ihren Geist. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so verlassen gefühlt. Als Daniel damals auf dem Klosterfriedhof mit ihr gebrochen hatte, war es gewesen, als zerschelle ihr Herz an einem Felsen, so heftig war der Schmerz. Dass er aber nichts unternahm, um seine einstige Geliebte vor dem Scheiterhaufen zu retten, war schlimmer als alles andere. Angst und Kummer bohrten sich in Dorotheas Eingeweide. Zusammengekrümmt kauerte sie auf dem feuchten Lehmboden und dachte daran, dass die Schrecken der vergangenen drei Tage nichts gegen die Dinge waren, die noch auf sie warteten. Denn hier im Drudenhaus war nicht einmal ein Hauch von Erbarmen zu erwarten, das hatte Dorothea schnell begriffen.
Nachdem Förgs Häscher sie in ihrem Versteck aufgestöbert und ins Malefizhaus gebracht hatten, hatte man sie die ganze Nacht nicht ruhen lassen. Zu jeder vollen Stunde schlug ein Wächter mit einem Stab oder Knüppel laut an die Türen der Verliese, so dass die Gefangenen unsanft aus ihrem Schlummer schreckten. Als der Morgen heraufzog, der die unterirdischen Gefängniskammern nur als schwacher, schiefergrauer Schimmer erreichte, holten sie Dorothea zum ersten Mal zu einer, wie sie es nannten, »gütlichen Befragung«. Wäre es ihr nicht so elend gegangen, hätte sie wohl bitter darüber gelacht, denn von »Güte« konnte keine Rede sein. Die einberufene Kommission, bestehend aus Richter und Schöffen, warf ihr Teufelsbuhlschaft vor. Außerdem sollte sie, so die Anklage, zwei Wochen zuvor, in der Walpurgisnacht, eine Hexensalbe angemischt haben. Mit deren Hilfe sei sie anschließend zum Stelldichein mit ihrem Gebieter, dem Satan höchstpersönlich, geflogen. Der hätte ihr hernach befohlen, Gott zu entsagen und die Hostie zu schänden. Dorothea wies mit ruhiger Stimme die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück, obwohl sie vor Entsetzen über die erbarmungslosen Männer, denen sie Rede und Antwort stehen musste, fast verging. Das Grässlichste war jedoch, dem Mann Auge in Auge gegenüberzustehen, der für ihre Inhaftierung verantwortlich war. Der ihr monatelang vergeblich nachgestellt hatte und sich nun an ihr rächte, weil sie nicht ihn, sondern seinen Sohn liebte: Förg. Als oberster Richter führte er den Vorsitz bei Dorotheas erster Befragung. Und er war es auch, der nach ihrem beharrlichen Abstreiten aller Scheußlichkeiten, die man ihr vorwarf, hasserfüllt grinste, ehe er ihr entgegenschleuderte: »Die Territon wird dich schon Mores lehren, Teufelsbuhle!« Dann hatte er eine wegwerfende Geste gemacht, und die Wächter hatten sie zurück in ihr enges, dunkles Verlies geschleift.
Am folgenden Tag wusste Dorothea, was Förg mit »Territon« gemeint hatte, auch wenn er diesmal nicht anwesend war. Die Folterknechte zeigten den Angeklagten die Marterwerkzeuge und erklärten deren Funktion. Der Anblick und die detaillierte Beschreibung der Streckbank oder des Spanischen Bocks, einzig und allein dazu erdacht, um unschuldige Menschen zu quälen und ihnen unter unsäglichen Schmerzen Unwahrheiten zu entlocken, sollte den Gefangenen solches Entsetzen einjagen, dass sie auf der Stelle ein Geständnis ablegten. Obwohl es Dorothea beim Anblick der grausamen Instrumente schwarz vor Augen wurde, konnte sie dennoch nichts von dem sagen, was man von ihr hören wollte. Ihr Überlebensinstinkt schrie zwar, den Schergen alles zu erzählen, egal, wie verlogen es war – nur, damit ihre Knochen nicht brachen und ihr Blut nicht fließen würde. Doch ihr Geist war noch stark genug, ihrer Angst nicht nachzugeben. Ihre Seele war rein, so wie ihr Gewissen. Und dieser Teil ihres Wesens verbot Dorothea, sich selbst als das böse und verdorbene Wesen darzustellen, das sie nie gewesen war und auch nie sein würde. Sie wusste
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