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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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Torbogens zurück, so dass ich fast mit der Mauer verschmolz. Ein junger Typ, kaum älter als ich selbst, kam um die Ecke geschwankt. Offenbar war er Student oder Schreiber, denn er trug ein paar Blätter Pergament unter dem Arm und grölte frohgemut ein lateinisches Trinklied. »Gaudeamus igitur, iuvenes dum sumus!«
    Er hatte wohl schon ziemlich einen im Tee, denn als er auf meiner Höhe angelangt war, vergaß er die nächste Zeile. »Post … post iucundam … der Deibel soll’s holen«, fluchte er und lehnte sich schwer atmend gegen die Mauer. Zwei Zentimeter neben mir. Als er mich sah, machte er vor Schreck einen Satz. »Alle Mächte des Himmels …«, keuchte er, doch ich hob beschwichtigend die Hände.
    »Ich tue Euch nichts. Aber … wie wäre es mit noch einem Krug des guten Bamberger Bieres für Euch, hmm?«
    Er sah mich mit rotunterlaufenen Augen an. »Ach, junger Herr, wenn ich’s Geld dafür nur hätt’«, greinte er und versuchte, seinem Gesicht einen möglichst mitleiderregenden Ausdruck zu verleihen. Mit mäßigem Erfolg – er sah eher aus wie eine magenkranke Bulldogge.
    Trotzdem war »Geld« mein Stichwort. Kumpelhaft grinste ich ihn an und raunte: »Das wird so schwer nicht sein, mein Freund: Ich weiß, wo es ein paar silberne Taler gibt – im Gegenzug für einen kleinen Botendienst …«
    Keine drei Minuten später war Mister Bierselig auf dem Weg zu Daniel Förg. »Sagt dem jungen Herrn, Cat hat Euch geschickt«, hatte ich ihm eingeschärft und ihn den Satz dreimal wiederholen lassen, ehe ich ihn mit einer Wegbeschreibung und einem Stück Pergament, das ich mir von ihm geborgt hatte, losgeschickt hatte. Die Aussicht auf ein paar Münzen für Biernachschub hatten seine Schritte beflügelt, und ich war mir sicher, er würde so lange an das Tor klopfen, bis Daniel herauskäme. Mit dem Kohlestift meiner Zufallsbekanntschaft hatte ich nur ein Wort auf das Pergament geschrieben.
    CASTRUM.
    Erleichtert, dass mir der altertümliche Name für die Bamberger Hofhaltung wieder eingefallen war, machte ich mich wieder auf den Weg, um Förg zu finden. Danach brauchte ich nur noch zu warten, bis Daniel und Jakob dort auftauchten. Gemeinsam konnten wir versuchen, den Richter zu überwältigen und an das kaiserliche Mandat zu kommen.
    Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich den nach vier Seiten geschlossenen Komplex der Hofhaltung im fahlen Licht des schwindenden Mondes vor mir sah. Ich drückte mich an der Mauer entlang, bis ich zur Linken den schmalen Torbogen sah, der ins Innere führte. Ein Soldat stand auf seine Lanze gestützt davor und döste mit halbgeschlossenen Augen. Mist! Daran hatte ich mal wieder nicht gedacht. Wie sollte ich an dem bloß vorbeikommen? Wütend starrte ich auf meine schmutzigen, zerschlissenen Chucks, die durch die vielen Zeitreisen nicht unbedingt schöner geworden waren. Mit der rechten Schuhspitze stieß ich gegen einen losen Pflasterstein, als mir sternschnuppenschnell ein Gedanke durch den Kopf schoss. Leise und behutsam fing ich an, an dem Stein zu ziehen, so wie damals im Drudenhaus bei Sinas kleiner Mobbing-Party. Auch diesmal hatte ich Erfolg. Einen Augenblick wog ich den Brocken prüfend in der Hand. Dann holte ich aus, wie beim Weitwurf fürs Leichtathletik-Schulfest, und warf den Stein mit aller Kraft. Etwa zwei Meter rechts von dem Wachmann prallte er auf, und weil der Domberg dort etwas abschüssig war, hüpfte er unter deutlich hörbarem Klackern immer weiter das Pflaster hinunter.
    Der Wächter war schon beim ersten Aufprall aus seinen Träumen hochgefahren und drehte den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. »He, wer da?«, rief er alarmiert.
    Natürlich bekam er keine Antwort. Der Soldat packte seine Lanze und stürmte los, hinter dem vermeintlichen Schurken her, weg von mir und weg von dem Tor.
    In Rekordgeschwindigkeit flitzte ich ins Innere des Castrums, als hätte ich Räder statt Zehen an den Füßen. Dort sah ich mich hastig um. Der Innenhof lag dunkel und verlassen da, als wartete er wie Dornröschen darauf, dass man ihn zum Leben erweckte. Unvorstellbar, dass hier ein paar Jahrhunderte später regelmäßige Freilichttheater-Aufführungen stattfanden und eine fröhliche Menschenmenge mit Thermoskannen und Decken die extra für die Vorstellungen aufgestellten Bänke bevölkerte. Jetzt wirkten die U-förmigen Gebäude mit ihren hölzernen Emporen und den kleinen Fenstern eher bedrohlich, wie ein Drache, der über der Stadt thronte und

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