Heike Eva Schmidt
eines anderen eingesetzt hatte. Aber es waren auch Tränen der Wut über Förg und den Machtmissbrauch, den er betrieb, indem er zahllose Opfer ohne einen Funken Menschlichkeit einen qualvollen Feuertod sterben ließ.
Als Dorothea ihrer Wut Ausdruck verlieh, sah sie einen Funken Lebendigkeit in die hohlen Augen der alten Frau zurückkehren. »Der oberste Richter zu Bamberg wird seine Strafe bekommen«, sagte Grete. »Dafür werde ich sorgen.«
»Aber … was könnt Ihr tun? Förg hat Euch gefangen genommen, er ließ Euch foltern …« Hilflos brach sie ab.
Ihre Nachbarin lächelte, doch es war nicht das freundliche Lächeln, das Dorothea kannte, sondern eher eine zähnefletschende Grimasse.
»Ich habe sein Ende im Traum gesehen, Mädchen«, wisperte die Alte. »Ich sah, dass durch meinen Fluch der Tod vieler Unschuldiger gerächt werden wird.«
»Ihr habt den Richter … verflucht?«, stammelte Dorothea.
Grete schüttelte beinahe unmerklich den Kopf, jede Bewegung schien ihr Schmerzen zu bereiten. »Die Bewacher haben mich bislang kaum unbeobachtet gelassen. Nun aber werden sie uns eine Weile nicht stören. Sie hoffen darauf, dass dich der Anblick meines geschundenen Körpers brechen wird. Auch das ist einer von Förgs Winkelzügen: Zuerst quält er deine Seele und anschließend deinen Leib. Und daher wird meine Rache an ihm verdient sein.«
Dorothea wollte etwas sagen, nur wusste sie nicht, was. Musste sie Grete nicht eigentlich von ihrem Vorhaben abbringen, damit die alte Frau sich nicht versündigte? Andererseits sehnte sie sich tief in ihrem Inneren danach, Förg vernichtet zu wissen. Selbst wenn sie und Grete nicht überleben würden, konnte ein Bannfluch vielen anderen Menschen das Leben retten.
Und so gehorchte sie, als Grete sie anwies, einen losen Stein aus der Mauer zu ziehen und in den entstandenen Hohlraum zu greifen. Sie ertastete etwas Weiches, das sie nach kurzem Zögern als ein Stück Leder erkannte. Vorsichtig zog Dorothea das schmale, zusammengerollte Bündel heraus. Fragend sah sie zu der alten Frau. Die wies das Mädchen mit einem Nicken an, das Knäuel aufzumachen. Sie tat es und enthüllte etwas Gebogenes, Schmales, das auf dem Leder lag wie eine goldene Schlange. Im trüben Schein des Talglichts erkannte Dorothea Gretes kupfernen Halsreif.
Die alte Frau streckte ihre Hand aus, und Dorothea legte den Schmuck hinein. Gretes Blick wurde starr und schien in eine weite Ferne gerichtet zu sein. »Verdammt in alle Ewigkeit soll er und die Linie seines Blutes sein«, murmelte die alte Frau.
Dorothea hielt den Atem an und wagte nicht, nach der Bedeutung der Worte zu fragen, als eine plötzliche Hoffnung in ihr aufkeimte: »Könnt Ihr sehen, wann Förgs Ende naht?«, fragte sie zaghaft.
Grete schüttelte den Kopf. »Wann es geschehen wird, kann ich nicht erkennen, Kind. Aber der Richter entgeht seiner Bestimmung nicht, dafür werde ich sorgen. Der Fluch wird seine Wirkung entfalten, sobald der Schmuck in Förgs Besitz gelangt. Und wenn ich meinen letzten Atemzug getan habe, wird niemand den Fluch mehr zurücknehmen können.«
»Aber wie wollt Ihr Förg den Halsreif zuspielen?«, wandte Dorothea ein.
Grete lächelte schmal. »Wie es geschehen wird, kann ich nicht vorhersehen. Doch ich sah im Traum, dass der Reif für Förgs Tod sorgen wird, auf welche Weise auch immer«, erwiderte sie.
Dorothea konnte nicht verhindern, dass die Aussicht auf Förgs Bestrafung sie mit Genugtuung erfüllte. Sie wusste um den schrecklichen Brauch, den verurteilten Hexern und Hexen vor der Verbrennung den Kopf zu scheren und sie in ein Büßergewand zu stecken. Wenn sich Grete das Halsband umlegte, ehe sie zur Verurteilung geführt wurde, war es so gut wie sicher, dass Förg den Schmuck entdecken und an sich nehmen würde.
Grete nickte grimmig, als hätte sie erraten, woran Dorothea dachte: »Ich kenne die Gier des Richters, sich der kostbaren Dinge zu bemächtigen, welche die Verurteilten besitzen. Nun wird sie ihm zum Verhängnis werden.«
Noch bevor Dorothea etwas erwidern konnte, riss sich die alte Frau ein Stück Schorf von einer der Wunden am Hals, die ihr die Folterknechte zugefügt hatten. Sofort begann die Stelle, heftig zu bluten. Dorothea sprang unwillkürlich herbei, um ihr zu helfen, doch Grete machte eine herrische Handbewegung, die sie innehalten ließ. Die Alte legte sich den Schmuck um den Hals, so dass ihr Blut das Kupfer benetzte. Nach einigen Sekunden, die Dorothea wie eine Ewigkeit
Weitere Kostenlose Bücher