Heike Eva Schmidt
nicht, wie lange es dauern würde, bis ihr Wille gebrochen war – einmal Aufziehen, ein Dutzend Peitschenhiebe auf dem Spanischen Bock, ein zermalmter Fußknochen in der Beinschraube? Irgendwann würde sie all die Dinge zugeben, die sie nicht verbrochen hatte, und vielleicht würde der Tod auf dem Scheiterhaufen am Ende eine Erlösung sein. Denn dass sie jemals wieder frei sein würde, daran glaubte Dorothea inzwischen nicht mehr.
Und so wartete sie voller Grauen auf den Moment, da sich die Tür zu ihrem Verlies erneut öffnen und man sie ein drittes Mal holen würde, damit die Folterknechte ihr schreckliches Werk beginnen konnten. Dorothea wollte sich zwingen, nicht daran zu denken und ihren Geist zu leeren, wie einen Wasserkrug, den man ausschüttete, bis kein Tropfen mehr übrig war. Doch als sie das Knirschen des massiven Eisenschlüssels im Schloss der Verliestüre hörte, zuckte sie heftig zusammen und sprang fluchtbereit auf, ehe ihr Verstand in der Lage war zu begreifen, dass sie nirgendwohin konnte. Wortlos wurde sie von zwei bulligen Wächtern gepackt und nach draußen geschleppt. Dorothea biss sich auf die Lippen, um nicht zu weinen aus Angst, was in den folgenden Stunden wohl mit ihr geschehen würde.
Zu ihrer Überraschung schubsten die Gefängniswärter sie jedoch nicht die Lehmstufen hoch, wo sich der Verhörraum und die Folterkammer befanden. Vielmehr schleiften die Männer das vor Furcht stolpernde Mädchen den modrigfeuchten Kellergang entlang zu einem anderen Verlies. Die Tür öffnete sich mit einem hohen Kreischen, wie das einer bösartigen Krähe. Dorothea wurde unsanft in die Dunkelheit geschubst. Während sie in den düsteren Raum blinzelte und versuchte, wenigstens Schemen zu erkennen, schloss sich die Tür donnernd hinter ihr. Erschrocken wirbelte sie herum, doch die Wärter waren verschwunden, und sie war alleine. Oder etwa nicht? Sie sah, wie sich in einer Ecke etwas bewegte, und sie hörte einen Laut, schwach wie das Seufzen des Windes. Dorothea schluckte, ihre Stimme war dünn vor Angst. »Wer ist da?«, brachte sie schließlich heraus und wagte zwei vorsichtige Schritte in Richtung dessen, was da im Verborgenen kauerte.
»Dorchen, bist du’s?«, erklang eine flüsternde Stimme, und als Dorothea näher kam, erkannte sie ihre Nachbarin Grete. Die alte Frau lag zusammengekrümmt auf dem klammen Verliesboden, und ihre Augen blickten Dorothea aus tiefen Höhlen müde an.
»Grete!«, rief sie entgeistert. »Mein Gott, was hat man Euch getan?«
Am ganzen Leib zitternd vor Schwäche, versuchte Grete, sich aufzurichten. Dorothea sprang herbei und wollte der Alten helfen, doch als sie Grete unter den Armen fasste, schrie diese vor Schmerz auf. Erschrocken ließ Dorothea los. An der Wand glimmte kaum wahrnehmbar ein heruntergebranntes Talglicht. Sie griff danach und leuchtete in den dunklen Winkel, in dem Grete hockte. Dorothea konnte einen Laut des Entsetzens nicht unterdrücken. Nicht nur, dass die alte Frau erbärmlich mager und ausgezehrt aussah, zudem hing ihr das Rückenteil ihres Oberkleides zerfetzt vom Körper. Ihr nackter Rücken war übersät mit blutverkrusteten Striemen, die sich in braunroten Linien kreuz und quer über ihren geschundenen Leib zogen. Eine Landkarte des Schmerzes. Man hatte Grete derart erbarmungslos ausgepeitscht, dass kaum noch ein heiles Stück Haut zu sehen war. Dorothea wollte etwas sagen, die Misshandelte trösten, doch als sie den Mund aufmachte, brach sie in Tränen aus.
Die alte Nachbarin schüttelte kaum merklich den Kopf und flüsterte: »Kannst nichts dafür, Mädchen. Förg hätte mich so oder so geholt. Schon lang war ich ihm ein Dorn im Auge. Dass ich ihm den Liebeszauber verwehrte, kam ihm gerade recht, um mich der Hexerei anzuklagen.«
Dorotheas Hals fühlte sich an, als läge ein Strick darum, der ihr das Sprechen unmöglich machte. Stattdessen drückte sie nur sanft Gretes Hand. Als sie sich umsah, entdeckte sie eine verbeulte Schüssel mit etwas trübem Wasser darin. Behutsam setzte sie der alten Frau die Schale an die Lippen.
Grete trank gierig, lehnte sich dann schwer atmend zurück und blickte Dorothea ruhig an. »Sie haben dich zu mir gebracht, um dir zu zeigen, was passiert, wenn man standhaft bleibt und sich gegen ihre Beschuldigungen wehrt«, flüsterte sie.
Eine Flut salziger Tränen strömte Dorothea aus den Augen. Sie weinte aus Mitleid mit der alten Grete, die immer nur Gutes getan und ihre besonderen Kräfte nie zum Schaden
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