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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Sassenholzer Kirche. Es war gut, daß sie noch vorhanden waren, denn wenn die jetzt womöglich übergestrichen würden wegen des Salpeters, oder aus was für Gründen auch immer, dann wisse man doch wenigstens, wie sie einmal ausgesehen haben.
    Eine der Kallroy-Mappen, es war eine rote, wurde schnell wieder hingestellt zu den andern. Das war weniger von Interesse, was darin aufbewahrt wurde. Wer kennt des Menschen Herz?
    Während Säckel verschiedene Schachteln öffnete und hineinsah, legte sich Ellinor auf den Fußboden und horchte, was die Tante unten macht, und die horchte jetzt wahrscheinlich auch.

    Hinter dem Nachlaßberg lag die ehemalige Räucherkammer, war es hier gewesen, daß sich Menschen verborgen gehalten hatten, kein Licht machen und kein Geräusch?
    Weshalb war hier noch keine Erinnerungstafel angebracht worden?, das war die Frage. – Aber das hatte wohl keinen Zweck, die sah hier ja kein Mensch.

    Auf der andern Seite des Dachbodens gab es einen Zugang zu dem Turm, den der Architekt der Villa aus optischen Gründen verpaßt hatte. Der Ausblick war beeindruckend. Matthias schob sich an dem Kunstmaler vorbei und sagte: Wie sonderbar, daß es in der Landschaft so viele verschiedene Grüntöne gibt, das hätte er gar nicht gedacht, daß es in einer Landschaft so viele Grüntöne gibt… Man müsse eben nur seine Augen offenhalten.
    Das freute Säckel, daß Matthias verschiedene Grüntöne wahrnahm, und auch Ellinor drängt sich in den runden Raum und wunderte sich auch darüber, Volksschullehrer hin oder her: Was alles in einem Menschen schlummert, und wie leicht tut man ihm Unrecht!

    Nun wurde erörtert, ob man den Turm nicht zum Wohnen herrichten kann, und Säckel bedauerte es, daß er in Karlsruhe lebt und dort sein Brot verdient, aber vielleicht könne er hier ja eine Matratze deponieren und einen kleinen Tisch und einen Stuhl, und wenn er dann nach Klein-Wense kommt, hier oben wohnen? Und schon maß er den kleinen Raum aus und zeichnete die Maße auf das Papier, damit er weiß, wie groß der ist.
    Er stellte es sich bedeutsam vor, daß er dort oben wohnt, und nachts dann das Licht seiner Leselampe über dem Dorf: Dort wacht einer, der sich ein Gewissen macht.

    Mit dem kurzfristigen Reparieren des Dachs war es nichts. Sie gingen wieder hinunter in die Halle, und auch die Tante entspannte sich. Ellinor ließ die Herren vorausgehen. Sie selbst schnappte sich eine Mappe mit Entwürfen und folgte ihnen auf leisen Sohlen.
    Es schloß sich eine allgemeine Besichtigung der Gemälde an, die in diesem Hause hingen. Die Herren gingen von Bild zu Bild, von Wand zu Wand, auch in die Nebenzimmer, wo ebenfalls Eimer und Kummen in Bereitschaft standen, wenn’s mal wieder gießt, und betrachteten die zum Teil kostbar, zum Teil auch originell gerahmten Bilder mit schief gelegtem Kopf. Dieses hier zum Beispiel, das könne man doch gewiß verkaufen? Das mache bestimmt die halbe Dachdeckerrechnung aus… Oder das dort drüben?

    Ein Triptychon hing in einem der hinteren Zimmer: Die Jünger von Emmaus darstellend, wie sie mit dem Herrn am Tisch sitzen. Auf dem lichten Rahmen stand unten in spezieller, damals wohl moderner Schrift geschrieben:«Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden.»Und:«Wense, 1933.»
    Das Triptychon war für eine Kirche im Emsland bestimmt gewesen, aber die Gemeinde dort hatte es dann doch nicht abgenommen, weil etwas Mehrdeutiges darin hatte ausgemacht werden können.

    Matthias betrachtete eine Mappe voll Pastellarbeiten, sich reckende Menschen, unter denen sich, häufiger wiederkehrend, ein kleines Mädchen befand, in dem unschwer Ellinor zu erkennen war. Kühe auf der Weide mit dem sonderbarerweise nackichten Mädchen, das einen Stecken in der Hand trägt, über einen Zaun gelehnt mit Blumenkranz um den Kopf, die Zöpfe hängen herunter, auf der Treppe sitzend mit Wolle um die beiden Arme, und die Mutter daneben, ebenfalls unbekleidet, wie sie die Wolle zum Knäuel aufwickelt. Es war zu sehen, wie Kallroy seiner Tochter allmählich gerecht geworden war. Von Bild zu Bild hatte er sich darum bemüht.
    Matthias bedauerte es ein bißchen, daß Ellinor nicht mehr das kleine Mädchen von damals war, er forschte in ihren Zügen, ob noch etwas vorhanden sei, das die Sprache von damals spräche? Ihre etwas füllige Figur ließ Nachdenklichkeit aufkommen.
    Im Korridor stand ein Graphikschrank. Die schmalen Schubladen wurden aufgezogen und Bild für Bild herausgenommen, betrachtet und oben drauf

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