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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Geschirr», sagte Matthias, und der Mann führte ihn in ein Nebenzimmer, in das er sich an kalten Tagen verkroch, eine Kammer mit Ölofen, dort hatte er die besseren Sachen untergebracht, damit sie ihm nicht gestohlen werden, Taschenuhren hingen an einem Bord, eine neben der anderen, und große Schlüssel mit phantasievollem Bart. Dort lag auch die Handtasche aus Schlangenleder, für die Ellinor zwanzig Mark bekommen hatte. Jetzt sollte sie fünfzig kosten.
    Handgewebtes Leinen in Ballen, Kupfergeschirr und eine Kaffeekanne mit roten Blumen drauf. Die Kanne kam Matthias bekannt vor, die Eltern hatten so was gehabt, das war«für besser»gewesen.
    «Die Kanne möchte ich haben, aber ich brauche auch Tassen und Teller. »
    «Moment, Moment.»
    Der Trödler kramte herum und stellte nach und nach Teller und Tassen auf den Tisch, mit roten Blumen verziert, drei Tassen, eine davon ohne Untertasse, zwölf Teller, Milchkännchen. Alles zusammen für fünfzehn Mark.
    In einer Schublade lagen dünne silberne Löffel, von denen suchte sich Matthias einen Satz aus, die kriegte er für zwei Mark das Stück.«Wenn Sie mal was für mich haben», sagte der Mann,«ich zahl’ Sie gute Preise.»

    Alles sorgsam verstauen, damit es nicht noch auf den letzten Drücker kaputtgeht, und ein altertümliches Porträt kaufte er auch noch, mit einer Landschaft im Hintergrund und einer Stadt. Zu Hause sah er dann, daß sich unter den Tassen und Tellern ein Porzellan-Markenzeichen befand. Gelegentlich würde da mal nachzuforschen sein…

    In den nächsten Tagen und Wochen wurden die Kinder in der Schule zu Klein-Wense mit Silhouettenschneiden beschäftigt: Tassen und Teller und eine Kaffeekanne aus schwarzem Fotokarton. Marianne schnitt Katzen aus, die Milch trinken aus einer Schüssel, den Schwanz um sich gelegt.
    Am Sonntag drauf schickte Kollege Klein aus Sassenholz ein großes Stück Mohnkuchen vorbei, nach schlesischem Rezept gebacken, als Dank, und eine Packung ASA-Rattengift; der freute sich über das Getreidemaß, nicht satt sehen konnte er sich daran. Im Augenblick wußte er nicht so recht, wohin damit, aber eines Tages würde es das Zentrum seiner Sammlung sein, eines Tages, wenn einmal alles beisammen ist. – Und billig gekriegt!
    An das Bett seiner kranken Frau trat er und erklärte es ihr, was er da für einen guten Fang gemacht hat.
    «Meinst du, daß das richtig war?»sagte die Frau,«die schönen Scherenschnitte…»
    Da stieg dem Mann die kalte Wut in den Kopf, er lief in die Dunkelheit hinaus und verwünschte sein Schicksal, das ihn mit einer solchen Frau bedacht hatte. Es kam vor, daß sie verdammt recht hatte mit ihren Einwürfen, aus sonst vorherrschender Dumpfheit heraus.

37

    W ann habe ich ihn zum letztenmal gesehen?, fragte sich Matthias bei der Beerdigung des Bauern Freede, diesem kleinen heiseren Kerl: Als er seine Tochter auskeifte im Gemüsegarten? Oder mit ledergeschützten Knien auf dem Hof knien und die Einfahrt pflastern? Oder als er mit dem Pferd schimpfte, die Zügel ordnete und schimpfte und doch mit der Hand zärtlich den Schweif hinabfuhr? Das letzte Mal hatte er ihn auf dem Weg nach Hamersiek gesehen, da hatte der Alte im Regen auf seinem Feld Steine gesammelt, der hatte ihn möglicherweise auch gesehen, hatte aber kaum genickt.

    Der spöttische kleine Greis war gestorben. Vierzehn Tage auf den Tod gelegen in seiner Butze, auf Stroh, und dann gestorben. Zwanzig Jahre den Sohn überlebt, und seit fünfzehn Jahren Witwer. Die Tochter allein großgezogen, immer noch«leddig», wenn auch ein landwirtschaftlicher Eleve sich eingestellt hatte, ein großer starker Kerl, mit einer Nase im Gesicht, die nach links gebogen war.

    Carla hatte es nüchtern vor sich hingesagt: He is dot!, und hatte die Pendeluhr angehalten, und am nächsten Morgen die Milchkannen gewaschen wie eh und je.

    Nun stand der Sarg auf der Diele, auf Böcken, die der Malermeister geliehen hatte. Und in dem Sarg lag Freede, von Frau Claasen-watt mutt, mutt – sauber zurechtgemacht, in dem etwas zu großen Sonntagsanzug, den Kopf auf ein Sägespänekissen gebettet. Vor die Stallungen links und rechts waren Bettlaken gehängt, dahinter klirrten die Ketten der Kühe, die hier angebunden waren.
    Die Männer und Frauen, alle Schwarz in Schwarz, saßen regungslos auf den zusammengesuchten Stühlen und Schemeln. Vorn die blasse Carla mit ihren Kusinen und Tanten und ihrem kräftigen Eleven. Wer gekommen war und wer nicht gekommen war, wurde

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