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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Richtig fett war er geworden durch das regelmäßige kohlehydrathaltige Bauernessen, der Gürtel mußte ein Loch weiter gestellt werden. Am besten gleich noch einen Schnaps…

    In der Nacht fiel ihm ein, daß er ja die Hauptsache in seiner Autostunde völlig vergessen hatte: den Motor! Er hatte das Wesentlichste am Autohaften ja gar nicht hervorgehoben. Nicht einmal erwähnt!

    Ungefähr zur gleichen Zeit kratzte sich der Schulrat am Kopf, dem fiel das auch grade ein.
    «Vielleicht hätte ich mir die zweite Stunde doch noch ansehen sollen», dachte er und tastete nach der Hand seiner Frau.
    «Ja», sagte sie,«du glaubst auch ümmer so viel in die schungen Leute rein.»
    Gleich morgen die Notizen zur Visitation etwas ins Vage hinein verschieben, sonst fällt man womöglich bei der zweiten Prüfung aus allen Wolken! Und der Regierungsschulrat dann:«Aber Herr Kollege, das hätten Sie doch merken müssen…»

41

    W eil nun alles so gut gelaufen war mit der Visitation, das Verhältnis zur Schulbehörde also erst mal in bester Ordnung, belohnte sich Matthias mit einer kleinen Ausfahrt. Er fuhr nach Kreuzthal und setzte sich ins Freibadcafe, Mädchen angucken: wie sie ins Wasser hechten oder sich herausstemmen aus dem Becken. Ein Fernglas hätte er brauchen können. In den hinteren Regionen spielte sich etwas ab, das nahm er wahr. – Um das zu untersuchen, zahlte Matthias seinen Kaffee und kaufte sich beim kleinen Weber eine Badehose. Verdammt teigig sah er aus, das konstatierte er in den Spiegel hinein, man würde den Körper öfter mal der Luft aussetzen müssen, sich braunbrennen lassen… Vielleicht doch mal Heu staken in freischaffender Behaustheit.

    Zwei Runden exakt Brustschwimmen, und dann auch schon wieder hinaussteigen aus der Flußwasserbrühe. Von Erfrischung konnte keine Rede sein. Als er sich eben gelagert hatte, den Kopf auf die Aktentasche gebettet, in der Nähe der hinteren Regionen, aus denen man ihn befremdet musterte, verzog sich die Sonne, und das Freibad leerte sich.

    Auf der Rückfahrt besuchte er den Kollegen Stichnoth in Meckersen. An ein und demselben Tag den Beamteneid abgelegt, wenn auch ohne die Gottesformel, und am selben Tag den Lehrbetrieb aufgenommen: So etwas verbindet doch!
    Meckersen war womöglich noch kleiner als Klein-Wense: Sechs reiche Bauernhöfe und eine Flüchtlingssiedlung aus Baracken und grün angestrichenen Hütten. Wer irgend konnte, war längst weggezogen, nach Hamburg oder Bremen. Geblieben war, wer Arbeit gefunden hatte in der nahe gelegenen Blechschneiderei Jakobsen.
    Das Dorf wurde zerteilt von einer kurvenreichen Fernstraße, auf der schon so manches Kind zu Tode gekommen war. Das Donnern der Fernlaster machte das Dorf unwohnlich, oft standen die Frauen an der Straße, den Kopf in die Hand gestützt: Wer hätte es gedacht, daß es noch so weit kommt mit unserem Dorf.

    Stichnoth war in seiner Klasse, er schrieb einen Text an die Tafel für sein erstes Schuljahr:
    Die Mutter ist lieb
der Vater ist lieb
alle sind lieb
wo ist Willi?
    Stichnoth wohnte in einem noch unverputzten, sparsamen Neubau neben der Schule. Das alte Schulmeisterhaus war abgerissen worden, es hatte einer Kurvenverbreiterung der Fernstraße weichen müssen.
    Im Schulmeistergarten sah es aus wie auf einem Autofriedhof, denn Stichnoth beschäftigte sich mit der Instandsetzung alter Autos. Er lud Matthias ein, sich sein schönstes Stück anzusehen, ein großer alter BMW – von Brombeerranken überwuchert, Motor total im Eimer, aber er kriegt das schon hin. Den kleinen Vorkriegs-Renault, bei einem Bauern in Poggenreich entdeckt, hatte er ja auch wieder hingekriegt, bei dem waren die Probleme allerdings nicht so gravierend gewesen, kein Kolbenfraß, und die Nockenwelle noch absolut ausgewuchtet…

    Stichnoth wischte sich die Hand mit einem Lappen ab und holte zwei Flaschen Bier. Sie setzten sich hinter das Haus und begannen ein Autogespräch, das hin und wieder eine Unterbrechung erfuhr, wenn ein Fernlaster über die nahe Straße donnerte, vor der Kurve mußten sie alle aufbrüllend runterschalten, einer nach dem andern, vom Gezische der Knorr-Luftdruckbremsen mal ganz zu schweigen.

    Es dauerte eine Weile, bis Matthias, dessen gute Laune sich allmählich verflüchtigte, von dem Schulratsbesuch berichten konnte. Er nahm eine pfiffige Miene an und schilderte seinem Kollegen, wie groß der Schreck ist, den man kriegt, wenn der Schulrat ohne jede Vorwarnung auf den Hof gerollt kommt, aber dann,

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