Heile Welt
Autoeinzelheit mehr fehlte an der Tafel, sagte Matthias (und das war als Witz eingeplant):«Aber Kinder! Ihr habt ja noch den Blumenstrauß vergessen!»-«Welchen Blumenstrauß?»-«Na, den Strauß, den der Autofahrer seiner Frau mitbringt… »Das trug der Schulrat in sein Notizbuch ein, und er machte drei Ausrufezeichen dahinter.
Dann durften die Kinder die Einzelheiten des Autopuzzles an der Tafel grün, rot und gelb ausmalen, und Matthias schrieb den jeweiligen Ausdruck, wie es in der Vorbereitung ganz richtig stand, an die linke Außentafel, zum späteren Ordnen nach dem Alphabet: zur Verwendung in Sprachlehre und Sprachkunde: Handbremse, Fußbremse, Außenspiegel, Innenspiegel. Geeignetes Rohmaterial für das Wochendiktat.
Wie ist das möglich, dachte der Schulrat, daß ich auf meine alten Tage noch so was Schönes zu sehen kriege? So einen perfekten Unterricht? Das schnurrte ja ab wie ein Uhrwerk! Er war verblüfft. An den Film«Die drei Codonas»mußte er denken, den er in Dijon bei der Truppenbetreuung gesehen hatte, an das elegante Trapezgefliege der Artisten unter dem lichterübersäten Zelthimmel. Dies hier war ein anderer Schnack wie in Oldeshausen, wo die junge Lehramtsanwärterin weinend zusammengebrochen war über den Trümmern ihrer Stunde und sich anschließend drei Wochen krankgemeldet… Eine solche Unterrichtsprobe hatte er noch nie erlebt! Hatte dieser junge Mensch vielleicht von irgendwoher einen Tip bekommen? Am Dienstag, zweite Stunde, kommt der Schulrat?
Aber das war ganz unmöglich, denn er hatte heute früh ja selber noch nicht gewußt, wen er beglücken würde, erst beim Rasieren hatte er gedacht: Willst doch mal in Klein-Wense nach dem Rechten sehen… – Niemand konnte davon gewußt haben. Keiner hätte es ausplaudern können.
Aber: Wie war es möglich, daß ein junger Lehrer eine so perfekte Stunde hinlegte? Diese Frage stand im Raum. In seiner ganzen Schulratszeit war ihm das noch nicht vorgekommen, und auch vorher nicht. Stottereien waren die Regel gewesen, Pfuschereien, Halbsachen… Handelte es sich denn hier um Zauberei?«Fabelhaft!»schrieb er in die Akte, während Matthias vorn mit ausgetüftelten Späßen und Volten glänzte und nebenbei fieberhaft überlegte, was er bloß tun sollte, wenn der Schulrat noch eine zweite Stunde würde sehen wollen…
Zum Schluß eben noch ein Gedicht aufsagen. Der Herr von Ribbeck hatte zwar nichts mit Autos zu tun, aber es war irgendwie herzig, wie diese Kinder, die ja plattdeutsch aufwuchsen, dieses:«Junge, wisste’ne Beer?»aussprachen, und den Schulrat dabei anguckten! Auch das verfehlte seine Wirkung nicht.
«Diese Kinder sind ganz unbefangen, sie wachsen ohne Scheu auf, ohne frech und respektlos zu sein.»
«Hundertprozentig», schrieb der Schulrat. Nun würde noch nach etwas Negativem, Einschränkendem Ausschau zu halten sein, so konnte der Bericht nicht zu den Akten genommen werden.
Der Schulrat schnüffelte also noch ein bißchen herum, Hefte durchblättern, Versäumnisliste überfliegen, auf die kein Lehrer einen Eid ablegen würde, aber da war nichts Rechtes, das er hätte beanstanden können… also überlegte er tatsächlich, ob er noch eine zweite Stunde dranhängen müßte, aber er war ungeduldig, hier hatte er nichts mehr verloren! Irgendwie hatte er vielleicht auch die Befürchtung, daß die Sache abfallen würde, daß der Bravour ein Eklat folgte…, und das wollte er sich nicht antun. Er hatte sich entschlossen, heute einmal ganz befriedigt zu sein.
Er heftete die Stundenvorbereitung in die Personalakte. Daß auf ihr das Datum fehlte, bemerkte er nicht.
Eben noch mal auf die Schreibhaltung aufmerksam machen, den jungen Kollegen. Die Haltungsschäden nähmen immer mehr zu, sagte er zu Matthias. Ob er auch die Bankplätze jede Woche wechsle? Konsequent? Wer links außen sitzt, lehnt sich naturgemäß zur Seite? Da also ab und zu tauschen, die Linksleute mit den Rechtsleuten; an den i-Tagen oder an den o-Tagen? die Kinder machen das dann schon von selbst? Sonst wachsen die jungen Rückgrate alle nach einer Seite? Das müsse doch o-a-nisatorisch in den Griff zu kriegen sein?
Das Augenmodell auf dem Klavier, ob ihn das nicht störe?, fragte er schließlich, er für seine Person würde das nicht aushalten, dauernd angeguckt zu werden.
«Na ja…»Und dann kam’s:«Chacun, wie ich immer sage, nach seinem Geschmack.»
Ach, nein, sagte Matthias, und klappte das Augenlid des Modells herunter, das erinnere ihn an die
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