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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Kein Zweifel, diesen charakteristischen Geruch von Hundedreck kennt doch ein jeder. Eingetreten war er! Und nun dachte das junge Frauchen am Ende, er, Matthias, sei eingetreten? Und selbst wenn sie es nicht dachte, dann würde sich zwischen sie zu anderer Stunde, an der man sich vielleicht mal wieder über irgend etwas beugte, dieser abstoßende Geruch drängen, und sie würde denken: Bin ich es am Ende? Oder ist er es? Verwirrung ohne Ende.

    Am letzten Abend wurde ein«Ringelpiez mit Anfassen»anberaumt. Im Kamin entfachte jemand ein Feuer, an dem man einen Ochsen hätte braten können, und jeder mußte etwas bieten. Zunächst aber dem Hausmeister danken, ja danken.«Oh, Dank, Dank!»dafür, daß er immer die Hoftür verrammelte, so daß man nach Zapfenstreich weder raus noch rein konnte und am Ende sich durchs Toilettenfenster quetschen mußte. Wie beim Barras? – Sodann seiner Frau danken für die Petersilienröschen, die sie auf den Aufschnittplatten zwischen Preßkopf und Jagdwurst immer so vorteilhaft arrangierte. Und daß man manchmal auch was nachfassen konnte, von der Linsensuppe zum Beispiel, mit dem reichlichen, aber leider nach Leiche schmeckenden Rauchfleisch darin.«Dank! Dank! Dank!»Und morgens immer so schön aufgewischt mit Elfriede, dem tuberkulösen Mädchen, genau zur festgesetzten Zeit, wo dann keiner mehr über die Gänge laufen durfte, es sei denn auf Hacken und Zehenspitzen? Dank! Dank! Dank! Und einen extra Kanon«Hoch soll sie leben!»und eine Flasche Nordhäuser für ihn und eine Flasche Wermut für sie, alle zusammengelegt und in der Gastwirtschaft gekauft. (Stundenlang weggeblieben bei der Gelegenheit.) Sollte man denn nicht auch die Gräfin einladen, die sich in ihrer Mansarde gewiß nach Gesellschaft sehnte? Die war doch auch mal jung gewesen? Fragen kost’ ja nichts? – Ach, die Gräfin! Das war inzwischen durchgesickert, daß sie einen Fernsehapparat besaß und«Es darf gelacht werden»sah, jeden Mittwoch, Dick und Doof also, und entsprechende Sendungen an andern Tagen.

    Der Puppenspieler hatte an diesem Abend seinen großen Auftritt, und einer sang nach der Melodie«Oh, wie so trügerisch, sind Weiberherzen…»:
    «Ein Auto – mobile, zwei Auto – mobile,
drei Auto – mobile, vier Auto – mobile…»
    in italienischer Manier und gar nicht so schlecht, und Matthias spielte auf seiner Posaune, von Schifferklavier und Gitarre begleitet, den schönen Schlager«Dreams». Bei dem Dings aus dem Takt zu kommen wäre eine große Kunst gewesen.

    Dann wurde ein Grammophon in Gang gesetzt, getanzt und ziemlich viel getrunken. Matthias hätte sich gern beteiligt am Tanz, die BDM-Dame guckte schon immer herüber, auf die hatte«Dreams» unglaublichen Eindruck gemacht, wie er das da so sieghaft schräg gegen die Decke blies. Aber er wurde von dem Bernburger mit Beschlag belegt: Auf der Posaune Schlager blasen? Gehe das? Das sei doch ein Instrument des evangelischen Posaunenchors, wenn er nicht irre?«Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht…»Nie, nie, nie würde Matthias sich von dieser Blasphemie reinigen können.

    Leider wurde mittendrin im schönsten Schwof die Tür aufgerissen, und ein geröteter Mann mit aufstehenden Haaren kam hereingeplatzt. Wo seine Frau ist, wollte er unverzüglich wissen, und die Dame mit den Socken eilte auf ihn zu und rief:«Jürgen! Wie schön, daß du schon da bist!»Sie hatte sich schon seit einer Stunde aus Sicherheitsgründen bei den Skatspielern aufgehalten, war nicht loszueisen gewesen dort, darüber hatte man sich schon gewundert.
    «Ach!! Was!!»schrie der Mann. Stundenlang im Auto gesessen, bei unmenschlichen Straßenverhältnissen, und diese Bude hier nicht gefunden in der Dunkelheit, und sie, sie schnackelt sich hier einen an?
    Die drei alten Herren versicherten dem wild um sich Guckenden, daß seine Frau einen guten Kiebitz abgibt, also immer bei ihnen gestanden habe, soweit man sich erinnere. Und nicht ein einziges Mal getanzt. Aber irgendwie hatte der Mann genug von dem«Affentheater»hier, er sah Matthias, von dem Instinkt des Eifersüchtigen getrieben, einmal kurz und scharf an, der froh war, von dem Bernburger gerade mal wieder beim Jackenknopf genommen worden zu sein, wie er das wieder gutmachen will, Schlagerkram auf dem heiligen Instrument gespielt zu haben…, und dann klimperte er auch schon mit den Autoschlüsseln und riß seine Frau mit hinaus, und durch die Wendeltreppe hörte man ihn laut schimpfen, das schallte bis in den

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