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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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-«Was haben Sie für schlechtes Material!»habe selbst der Schulrat ausgerufen. Kinder also, die einfach rauslaufen aus der Klasse oder gar nicht erst kommen. Neulich zum Beispiel – er habe immer ein Glas Wasser auf seinem Pult stehen – habe ihm einer, als er mal eben vor die Tür gegangen, ins Wasser gespuckt!
    Dies nur mal zur Illustration, mit was für Menschen er es zu tun hat!

    Das Sesam-open-you-Kartensystem war auch anderen aufgefallen, sie sahen ihm gern über die Schulter, wenn er die Karten mit seiner klaren, regelmäßigen Schrift füllte, auch allerhand unterstrich, mal blau, mal rot, und in groß A, B, C ordnete und mit speziellen Markierungen versah, für aufmunternde Gestik des Lehrers zum Beispiel oder fragendes Kopfschütteln. Matthias gab jedermann bereitwillig Auskunft über sein System und über die Notfallvorbereitungen römisch I, II, III, die er immer in der Schublade liegen hat, falls der Schulrat mal unvorbereitet kommt. Da greift er sich dann so ein Dings und läßt die Stunde abschnurren, und der staunt dann Bauklötze, weil der das nicht durchschaut.«Unglaublich!»wurde gerufen.«Und das funktioniert?»Und Matthias versprach in jede Richtung, Abschriften von seinen Vorführstunden zu machen, was dann allerdings in Vergessenheit geriet, denn was ein richtiger Lehrer ist, der macht lieber alles selbst. Nur die Studenten blieben an ihm dran, sie standen kurz vor der ersten Prüfung, die hatten schon jetzt Angst vor der zweiten. Daß der Schulrat unangemeldet kommt, das schockierte sie, das hatte man ihnen nicht gesagt. Vielleicht doch noch was anderes machen? Fahrlehrer werden oder zu Schwererziehbaren in eine Anstalt gehen? Wo man dann gleich eine Wohnung hat und in der Kantine mitessen kann? – Blindenlehrer? Kriegen die eigentlich mehr Geld? – Bei dem Anthroposophen erkundigten sie sich, ob man in den Rudolf-Steiner-Schulen auch eine zweite Prüfung machen muß?
    Täuschte Matthias sich?, oder machte der Kursleiter, der doch bestimmt jeden Abend an seinem Bericht feilte, ein paar zustimmende Zeichen in seine Beurteilungsliste, die als Pluszeichen zu deuten waren? – Oder das Gegenteil?

    Auch einen Kunsttag gab es, Stanislaus Fiesel hieß der Spezialist, und er hatte ständig eine Fahne. Prüfend sog er die Luft ein, ob sich Frischfleisch im Kurs befände, aber da war nichts für seinen Geschmack dabei. Den Silberschmuck einer der Studentinnen bewunderte er sehr: Was, selbst gemacht? Aus Silberdraht mit einer kleinen Rundzange? Aber als er grade das Geschmeide am Busen der Dame durch seine Finger gleiten ließ, drängte ihn ein Student ab, ob sie mitkommt, nach Holzminden ins Cafe.

    Da war nichts zu machen… Die da?, überlegte er, an der Nase zupfend, nein. Oder die? – Letztesmal in Braunlage, das war ein ganz anderer Schnack gewesen. Da waren Frauen in der Überzahl gewesen, das war dann eine ganz andere Ausgangsposition. Da hatte man frei schalten und walten können. Auch räumlich die besseren Voraussetzungen…
    Eine spezielle Knetmasse führte er vor, die man in einem Backofen härten konnte, es wurden hübsche Figuren daraus geknetet, aber man ließ sie zu lange im Backofen, den Rest der Tagung stank es im ganzen Schloß danach, die Gräfin öffnete ihr Fenster, und der Hausmeister sagte: So eine Schweinerei ist ihm noch nicht vorgekommen, seine Frau könne jetzt monatelang keinen Rollbraten mehr machen.

    An einem Nachmittag wurde auf Anregung von Stanislaus Fiesel eine Töpferei besucht, wie wunderbar das ist, so ein Gefäß unter den Händen aufzudrehen zur Urform, und bei dieser Gelegenheit konnte Matthias sich mit der Wollsockendame gemeinsam über einen Topf neigen, was ihm unbeschreiblich angenehm war. Über die Eifersucht ihres Mannes sprach sie ziemlich sofort. So klein mit Hut sei sie, wenn wieder was vorgefallen sei zwischen ihr und ihm, natürlich völlig aus der Luft gegriffen, ihr Mann lasse sie dann ankriechen und zappeln, schrecklich, was soll sie bloß machen? Matthias berührte ihren Ellbogen, um ihr zu zeigen, daß kein Mensch allein ist auf der Welt, und da erzitterte sie jäh.
    In der Töpferei kriegte jeder Teilnehmer ein Salzfäßchen geschenkt, und der Bernburger drängte sich an Matthias heran und sagte, ob er ihm sein Salzfäßchen schenken darf, dann hat er zwei? Er trug die ekelhaftesten Schuhe, die man sich vorstellen kann, die Schleifen der Schnürsenkel doppelt gebunden, damit sie nicht aufgehen. Irgendwie eingetreten war der Mann zuvor.

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