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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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und nun schon wohlbestallter Lehrerexistenz, wenn auch nur«z. A.»und«Dorf». Aber immerhin mit Haus und Garten!
    Warum nicht Lilli überraschen? Hatte er nicht ihr Bild auf dem Tisch stehen? Sie würde einen roten Kopf kriegen, einen blauroten, wenn er da plötzlich aufkreuzte, und denken: Ich wußte es, ich habe recht behalten.
    «Ich schulde dir noch drei Mark fünfzig! würde er sagen, und sie würde sein Gedächtnis bewundern und den alten Spazierweg mit ihm gehen, an den Schrebergärten entlang und den Tennisplätzen. In der«Krone»ein Deutsches Beefsteak essen und dann ins«Studio», nach alter Sitte, wenn’s was Ordentliches gab,«Orphee»vielleicht oder die«Feuerzangenbowle». Sie würde baff sein, ganz ohne Zweifel, wenn er da plötzlich aufkreuzte: nun ein gemachter Mann mit eigener Wohnung, ja: Haus! mit Garten! und Laube! Ein ganz anderer Mensch geworden, vorher ein lahmer Durchhänger mit Vergangenheiten, nun elastisch und dem Leben zugewandt.

    Der D-Zug war voll, er flog an Dörfern vorüber, in denen Maibäume aufgerichtet waren, die bunten Bänder schlangen sich um den Pfahl, durch Wälder, deren schwarze Baumkronen hier und da mit frischem Grün durchsetzt waren. Nun schlängelte sich der Zug schon durch wellige Berge, Burgruinen oben drauf, auf denen die verschiedenartigsten Studentenfahnen flatterten.

    Der Zug flog auch an der Ortschaft Hahnewischen vorüber, in dem es ein Altersheim der Inneren Mission gab: Dort saß eine alte Frau, von der er zehn Fotos im Koffer hatte, am Radio und hörte klingende Weisen. Vielleicht auf der Rückfahrt dort eingucken? Sie war schließlich nicht irgendwer? Nein, nicht nachgeben! Der Schmerz saß zu tief.

    Matthias saß in einem vollbesetzten Abteil neben einer jungen Frau. Sie hatte ihren kleinen Jungen dabei, der sich damit beschäftigte,«Telefonieren»zu spielen, nein, der Papa ist nicht zu Hause, und die Mama auch nicht… Das ganze Abteil amüsierte sich darüber, wie der Junge da ganz zünftig einen Löffel als Hörer benutzte, Mimik und Aussprache täuschend echt! Und Matthias mußte es sich anhören, ganz nebenher, daß diese Frau sich von ihrem Mann trennen will. Sie hatte in Flensburg einen Friseur-Aufbaukurs besucht und fuhr nun zurück und hatte sich vorgenommen, ihr Leben zu ändern. Den Jungen gibt sie erst mal zu ihrer Mutter. Ihr weißer Kragen war etwas schmuddelig, sie war schon lange unterwegs.
    Woher er kommt?, wollte sie wissen. Aus Klein-Wense?«Wo liegt denn das?»- Auf der Landkarte war es nicht zu finden.
    Ob das richtig ist, sich zu trennen? Abends nach Haus kommen, und niemand ist da?

    Am späten Nachmittag war er am Ziel. Der Weg vom Bahnhof in die Stadt hinein war ganz der alte, zwei Reihen Linden, früher mal ein Reitweg, nun Parkplatz und die Professorenhäuser links und rechts, jetzt Arbeitsamt oder SPD-Büro, heute natürlich geschlossen.

    Seine alte Wirtin öffnete ihm, das Geräusch des Riegels war ganz das alte, und der Wohnungsdunst, der altvertraute! Sie hatte das Zimmer noch nicht wieder vermietet, wenn auch die Möbel umgestellt, dort konnte er also unterkommen, und er mußte erzählen vom Sassenholzer Wald und daß er sich tatsächlich schon mal Buchweizengrütze gekocht hat, in der Kriegszeit nicht bewirtschaftet, die braucht länger, als man denkt, bis sie gar ist (und schmeckt nach nichts). Mit kalter Milch und einem Klacks Butter eine Delikatesse?
    Wie’s Fräulein Lilli geht, wurde er gefragt, das war doch immer so nett gewesen…

    Die Hochschule war menschenleer, das hätte man sich ja denken können, Pfingsten? Kein Professor in Sicht. In der Sporthalle wurde Volleyball gespielt, das war zu hören, und nun kam der Hausmeister mit seinem Hund und fragte: Was er hier zu suchen hat?«Ja, kennen Sie mich denn nicht mehr?»

    In den engen Fachwerkstraßen waren ein paar alte Herren zu sehen, Schmisse auf der Backe wie einen Ausweis der Gesinnung, mit Gemahlin, die auch einmal jung gewesen war, mit Petticoat-Töchtern und Söhnen:«Hier hab’ ich früher mal gewohnt, Kinder, Gott ist das lange her!»Ein bißchen juvenis dum sumus im Gesicht und doch der neuen Zeit bejahend zugewandt.

    Ja, es war lange her, daß er diese Stadt verlassen hatte, ganze sechs Wochen. In den Schaufenstern lagen noch dieselben Auslagen wie damals, was hätte sich auch daran ändern sollen?
    Er hatte sich geändert, das hatte auch die Wirtin bemerkt. War er denn älter und reifer geworden?

    Nun galt es, Lilli zu besuchen –

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