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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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herausgekommen war? Zum drittenmal geschieden? Jahrelang geschaßt wegen irgendwelcher Nazisachen und nun endlich wieder mit einem Lehrstuhl bedacht, wo sollte man denn auch die ganzen Professoren herkriegen?
    Nun fingen die Herrschaften an zu singen, Im schwarzen Walfisch zu Ascalon, da trank ein Mann drei Tag, und dann brachen sie auf; in der Aula der Alma mater war alles zur Festveranstaltung bereit.

    Matthias schlenderte durch die Altstadt, die jetzt im Mittagsschlaf lag. Er ging an einer Sparkasse entlang, einem Fahrradgeschäft, einer chemischen Reinigung und einer Tierhandlung, mit Wellensittichen im Fenster, für die es kein Pfingstfest gab. Ein gluckerndes Aquarium und weiße Kaninchen in einer mit Sägemehl ausgestreuten Kiste.
    In einem Käfig waren zwei Erdhörnchen eingesperrt, eines lag am Boden – tot. Ja, hatte man es denn zu füttern vergessen? Das andere hüpfte hinauf, hinunter, von einer Stange zur anderen, setzte sich dann neben den toten Kumpel. Gab es denn so etwas wie Trauer unter den Tieren?

    In seinem Garten an der Marienbrücke sah er Petersen sitzen, unter einem Apfelbaum, den alten Mann, dessen Ratschläge damals verlacht worden waren: Jetzt erwiesen sie sich als goldrichtig, keine Ahnung, wie man ohne sie hätte bestehen können.
    Die Sache mit dem freischaffenden Lernen in je eigner Behaustheit – nicht so recht zu kapieren, wie auch so manches andere nicht. Was Pädagogik eigentlich war, wußte doch niemand so recht. Die Jugend fürs Leben rüsten? Sie zu sich selbst führen? Gott im Himmel… Wie man einen Zaun anstreicht, das kann man lernen, aber Gesittung? Nehmen Sie die Hand aus der Tasche, wenn ich mit Ihnen rede? Von der Gesittung bis zur Verklemmung war es nicht sehr weit, und vom Freischaffen bis zum Fenstereinschlagen auch nicht. Als Wasser um die Steine herumgurgeln – kann man so was lernen?
    Da saß er, der alte Petersen, mit Wärmflasche auf dem Bauch. Hineingehen und guten Tag sagen? Der Themenzettel, der ihm bei der Prüfung über den Tisch geschoben wurde, war genau der richtige gewesen.

    Beim Trödler in der Judengasse war wenig Reizvolles zu sehen: alte Kleider und Hüte und aufeinandergestellte Stühle der verschiedensten Machart. Da war das Antiquitätengeschäft hinter der Universitätskirche schon interessanter. Vorn im Fenster lagen bunte Teller, dahinter stand ein blankgewienerter Sekretär und dahinter, ganz im Dunkeln, Truhen mit Schnitzerei. Am interessantesten waren die Preise. Ein Worpsweder Stuhl nach Art des Stirb-und-werde-Stuhls, der nun Matthias gehörte, war neben den Truhen aufgestellt. So sehr sich Matthias auch anstrengte, er konnte den Preis nicht lesen. Vorn ja, die bunten Teller, die kosteten so um 200 Mark.
    Eben wollte Matthias davongehen, da klickte die automatische Beleuchtung an, und nun sah er, daß der Lehnstuhl«nach Altländer Art»sage und schreibe 1250 Mark bringen sollte.

    Matthias hüpfte nicht gerade, als er davonging, aber er beschleunigte doch den Schritt. Gibt es ein Zwerchfell-Lachen? Seine Bauchmuskeln wellten vor Freude, als er in sein Quartier strebte. Seiner Wirtin erzählte er davon, daß er einen Stuhl besitzt, in Klein-Wense, der sich quasi angefunden hat bei ihm, und der, wenn ihn nicht alles täusche, über 1000 Mark wert sei! Kaum konnte er den nächsten Tag erwarten, und den frühesten Zug nahm er, um nach Klein-Wense zurückzukehren, wo er nun zu Haus war, und sich seinen Stuhl anzugucken, der sage und schreibe 1000 Mark wert war, mindestens. Nun nicht nachlassen! Nun von Dorf zu Dorf fahren und alles zusammenkaufen, was da so unbeachtet auf den Dielen steht!

17

    N ach Pfingsten begann für alle Pastoren im Lande wie jedes Jahr die endlose Trinitatis-Zeit und für die Lehrer der Schulalltag, von manchem als«Trott»empfunden, mit:«Hefte raus!»und«Ruhe da hinten!»oder sogar:«Halt’s Maul!»
    Von All-Tag keine Rede. Wer das gewollt hätte, die Hirne der Kinder öffnen und das Universum herauslassen, der hätte in eine Wohnhöhle mit ihnen ziehen müssen, mit Heu und Stroh und mit Kühen und Pferden, in einen großen«Stall von Bethlehem», und«raunen von alten Tagen».

    Matthias ließ es langsam angehen. Zehn Minuten vor der Zeit die Klasse aufschließen und die Kinder in der Klasse erwarten, wie sie allmählich eintrudeln zu zweit und zu dritt. Dann erst mal einen Spruch loslassen, damit man mitkriegt, wie sie gestimmt sind, ob sie vielleicht schlechte Laune haben oder zu Jux aufgelegt. Und die

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