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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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doch ein Versagen ersten Ranges! Nie! würde er sich von seiner Frau scheiden lassen, obwohl sie dauernd krank sei – allein schon des Jungen wegen! Den im Stich lassen? – Obwohl’s einen hart ankommt ab und zu.

    Von Sassenholz aus fuhr Matthias nach Westereistedt, wo im Krieg Kriegsgefangene in einem Barackenlager untergebracht waren, nach dem Krieg dann DPs, eine Art Räubernest, aus dem Überfälle auf die Bauern verübt wurden, obwohl die Menschen dort damals gute amerikanische Rationen bekommen hatten. Und schließlich ehemalige Nazis, die man aus bestimmten Gründen nicht frei herumlaufen lassen wollte. Die Frauen hatten am Zaun gestanden und ihren Männern zugewinkt. Mancher bis zum Skelett abgemagert, weil der englische Lagerkommandant sadistisch veranlagt war. Den Frauen beim Besuch die Taschen ausgeschüttet und draufrumgetrampelt auf dem Butterbrot.

    Der Besuch bei Lehrer Neidholt in Westereistedt war nur von kurzer Dauer. Obwohl es Sonntag war, schor der seinen Rasen, und das tat er, um seinen Nachbarn, den Kirchenvorsteher, zu ärgern.«Jänicke?»-«Ohne h, aber mit ck.»
    Weil hier nun jetzt ein junger Kollege kam und seinen Besuch machen wollte – man selbst hatte ja auch mal angefangen -, stellte er den Motor ab und zeigte auf einen weißen Strich im Rasen, der seinen Garten von dem des Kirchenvorstehers abgrenzte. Mit einem Gartenschlauch hatte er ihn hergestellt: den Gartenschlauch ausgelegt, gerade gezogen und dann Unkraut-Ex daran entlanggestreut. Das mache er dreimal im Jahr, das schaffe klare Verhältnisse!
    Im Hintergrund hockte die Gattin des Schulmeisters an einem Staudenbeet und schnitt in Feinarbeit überhängende Grashalme mit einer Blechschere ab. Sie hockte da auf x-beinige Weise, und das Gesäß zeichnete sich wie ein großes W unter dem Rock ab. Es gehörte zur Gattung des Spitzpopos, kam also für Matthias nicht in Frage. Der bevorzugte eher die liegende Drei.

    Neidholt hatte eine Begabung für praktische Dinge, in Naturlehre war er ein As. Zu Anfang seiner Lehrerzeit hatte er mit den großen Jungen ein ganzes Jahr lang Verkehrsampeln gebastelt, die dann auch leidlich funktionierten. Danach hatte sich sein pädagogischer Eifer abgekühlt, weil sich der Schulrat die Ampeln kaum mal angesehen hatte. Der Bericht darüber war ihm kommentarlos zurückgeschickt worden. Ob er um den Dorfteich herum den Verkehr regeln wolle – solche Redensarten hatte der Mann abgelassen, das mußte man sich mal vorstellen!
    Dann eben nicht! Seither arbeite er stur nach Vorschrift, kein Handschlag! Aus und vorbei.

    Neidholt deutete an, daß es mit der Offizierslaufbahn des Schulrats nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, den ganzen Krieg über in Frankreich gesessen und sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Im Rheinwiesenlager Remagen habe er ihn jedenfalls nicht gesehen. Vier, fünf Jahre unterrichtet und dann sofort Schulrat? Wie könne das denn angehen? Der hatte doch gar keine Ahnung!
    Er selbst habe sich in Remagen auf allen vieren zum Arzt geschleppt, so schwach vor Hunger sei er gewesen, und die Kameraden von der Waffen-SS? Abgeteilt in einem Sonderpferch, immer in der Runde marschieren und Lieder singen, von morgens bis abends, die armen Kerle. Keine Hand habe sich gerührt, denen zu helfen…

    Er warf einen Stein in die Gegend und pfiff seinen Kindern, die mit Heuharken und Körben herbeigelaufen kamen, um das Werk ihres Vaters zu vollenden. Er fragte Matthias nach seinem Jahrgang, und als er«1930»hörte, stellte er den Motormäher wieder an und verabschiedete ihn, er muß das hier eben noch zu Ende machen, dann hat er bis zum nächsten Sonntag Ruhe. 1930, das war eine andere Kategorie von Mensch, diese Leute hatten nicht zur großen Armee gehört, die hatten zu Haus gesessen am Radio und Schlager gehört. Mit dem Jahrgang 1930 und aufwärts gab es keine Verständigungsmöglichkeit.
    Er solle sich mal das Lager angucken, was da jetzt für Leute wohnten. Pack aus dem Osten, schlicht und einfach.
    «Immer geradeaus und dann links.»Gelegentlich könnten sie ja auch mal ein Bier zusammen trinken.

    Im Hufendorf Haufe erging es Matthias besser. Das Schulhaus lag auf einer Anhöhe. Von Kiefern war es umstanden, das erinnerte an Hiddensee: die Radtour mit dem Vater, kurz vorm Krieg, dauernd Gegenwind… Eine altertümliche Badehose hatte sein Vater angehabt, und dann die stark behaarten blassen Beine. Am Strand hatte er aus der nicht gerade zünftigen Aktentasche belegte Brote geholt,

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