Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
Forschergruppe einen Erdklumpen gescannt, der Fossilien enthielt, und versucht, die innere Struktur dreidimensional abzubilden. Und was haben sie entdeckt? Ein Herz. In der mit dem Skelett verbackenen Erde war die Form der inneren Organe vollständig erhalten. Inzwischen ist es eine paläontologische Standardtechnik, Dinosaurierfossilien einem CT-Scan zu unterziehen.«
»Wirklich interessant«, gab Kusanagi zu. »Aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Als ich das erste Mal davon hörte, kam mir das vor wie ein Trick, den die Natur seit Millionen von Jahren anwendet.« Yukawa klappte die Zeitschrift zu. »Ich spreche gern vom Ausschlussverfahren. Dabei demontiert man eine Hypothese nach der anderen, bis man am Ende auf die Wahrheit stößt. Aber wenn man beim Aufstellen einer Hypothese einen grundlegenden Fehler macht, kann diese Methode zu fatalen Ergebnissen führen. Im Übereifer, die Dinosaurierknochen in die Finger zu bekommen, beseitigt man womöglich das Herz.«
»Du willst also sagen, dass wir bei unseren Überlegungen, wie und wo das Gift plaziert wurde, irgendeinen entscheidenden Denkfehler begangen haben?«
»Das werde ich jetzt überprüfen. Es könnte sein, dass unser Mörder wissenschaftlich denkt«, sagte Yukawa wie zu sich selbst.
Das Haus der Mashibas war totenstill. Kusanagi nahm den Schlüssel aus seiner Tasche. Er war in Ayanes Hotel gewesen, um ihr beide Schlüssel zurückzugeben, aber sie hatte nur einen an sich genommen. Sie habe vorläufig ohnehin nicht die Absicht, dort zu wohnen.
»Die Bestattung ist doch vorbei? Will sie nicht noch die übliche Trauerfeier zu Hause veranstalten?«, fragte Yukawa, während er seine Schuhe auszog.
»Sie hat nichts davon gesagt. Yoshitaka Mashiba war nicht religiös, und es hat ja schon diese Zeremonie mit den Blumen stattgefunden. Er wurde bereits verbrannt, aber es gab anscheinend keine weiteren Gedenkfeiern.«
»Klingt vernünftig. Vielleicht sollte ich das auch so machen, wenn ich sterbe.«
»Einverstanden. Ich leite das Begräbniskomitee.«
Im Haus ging Yukawa rasch den Flur entlang. Kusanagi sah ihm nach und stieg die Treppe hinauf zum Schlafzimmer. Er öffnete die Tür zum Balkon und griff nach der großen Gießkanne, die daneben stand. Er hatte sie, nachdem Ayane ihn am Vortag gebeten hatte, die Blumen zu gießen, im Baumarkt gekauft.
Die Gießkanne in der Hand, ging er ins Erdgeschoss hinunter. Als er das Wohnzimmer betrat und in die Küche schaute, steckte Yukawa gerade wieder den Kopf unter das Waschbecken.
»Da hast du doch schon nachgesehen.«
»Ein Tatort hat hundert Facetten. Sagt man das nicht so bei der Polizei?« Yukawa beleuchtete den Bereich mit einer kleinen Stablampe. »Es sieht wirklich nicht so aus, als hätte jemand etwas daran gemacht.«
»Was suchst du denn eigentlich?«
»Ich fange noch mal von vorne an. Diesmal darf ich die Erde nicht einfach so achtlos abbürsten, wenn ich Dinosaurierfossilien finde.« Yukawa wandte sich zu Kusanagi um, und ein ungläubiger Ausdruck trat in seine Augen. »Was ist das denn?«
»Sieht man das nicht? Eine Gießkanne.«
»Stimmt, du hast ja letztes Mal auch Kishitani die Blumen gießen lassen. Es heißt wohl jetzt: die Polizei, dein Freund und Gärtner?«
»Was redest du da wieder?« Kusanagi schob Yukawa beiseite und drehte den Wasserhahn auf.
»Tolle Gießkanne. Gibt es im Garten keinen Schlauch?«
»Das ist für die Blumen im ersten Stock. Auf dem Balkon sind eine Menge Kästen.«
»Ja, die Polizei hat immer zu tun«, sagte Yukawa ironisch.
Kusanagi verließ die Küche, stieg in den ersten Stock hinauf und goss die Blumen auf dem Balkon. Wahrscheinlich war es besser, sie von nun an alle zwei Tage zu gießen. Er erinnerte sich, dass Ayane gesagt hatte, die Blumen auf dem Balkon lägen ihr besonders am Herzen.
Als er fertig war, schloss er die Balkontür und verließ eilig das Schlafzimmer.
Yukawa stand noch immer in der Küche und starrte mit verschränkten Armen auf die Spüle.
»Jetzt sag schon. Was geht dir durch den Kopf?«, fragte Kusanagi. »Wenn du mir nicht antwortest, kriegst du keine Vorzugsbehandlung mehr.«
»Vorzugsbehandlung?« Yukawa hob eine Augenbraue. »Hätte deine Kollegin mich nicht gebeten, wäre ich wohl kaum in diese lästige Angelegenheit verwickelt worden.«
Kusanagi stemmte die Hände in die Hüften und sah seinen Freund an. »Ich weiß nicht, was Utsumi von dir wollte, aber ich hatte nichts damit zu tun. Außerdem hättest du ja auch sie
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