Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
tiefe Einsicht in das Wesen der Welt, bedingt durch ihre Tat. Diese ging auch von Ayane aus. Er gab sich die größte Mühe, dies zu leugnen, aber sein kriminalistischer Spürsinn erlaubte es ihm nicht. Also ermittelte er in alle möglichen Richtungen, um seiner eigenen Zweifel Herr zu werden. Aber er durfte sich keine Voreingenommenheit bei seinen Ermittlungen erlauben. Kusanagi ärgerte sich über sich selbst.
Sie brauchten ungefähr eine Stunde. Doch sie fanden nichts, was auf eine Malerin hindeutete. Der Inhalt der Kartons bestand ausschließlich aus Geschenken und verschiedenen Andenken.
»Was ist denn das?« Kishitani hielt ein kleines Etwas aus Plüsch in die Höhe, das auf den ersten Blick wie eine Rübe mit grünen Blättern aussah.
»Eine Rübe, oder?«
»Stimmt, aber es könnte auch ein Außerirdischer sein.«
»Ein Außerirdischer?«
»Ja, wenn man es so hält.« Kishitani stellte die Plüschrübe umgekehrt auf den Schreibtisch. Wenn man sich den weißen Teil als Kopf dachte und die Blätter als Beine, wirkte das Ding wirklich wie einer von diesen quallenähnlichen Aliens, die häufig in Manga vorkamen.
»Ich verstehe.«
»Hier ist auch ein Etikett. Die Figur heißt tatsächlich Rübe und stammt von dem Planeten Rübenstern. Mashibas Firma stellt sie her.«
»Aha, und was ist damit?«
»Wir holen Frau Yamamoto.« Kishitani erhob sich.
Frau Yamamoto musterte die Plüschrübe und nickte. »Ja, stimmt, die wurde von unserer Firma hergestellt. Eine Figur aus einem Internet-Anime.«
»Internet-Anime?« Kusanagi sah sie fragend an.
»Wir hatten das vor etwa drei Jahren auf unserer Homepage. Möchten Sie es sehen?«
»Ja, bitte.« Kusanagi stand auf.
Sie gingen in ein Büro, und Frau Yamamoto rief die Seite auf einem Computer auf. Nachdem sie auf »Abspielen« geklickt hatte, lief ein etwa einminütiges Anime mit der Figur der Rübe.
»Wird es noch gezeigt?«, fragte Kishitani.
»Nein, eine Zeitlang war es beliebt, aber dann verkaufte es sich weniger gut als gedacht und wurde abgesetzt.«
»Hat ein Angestellter Ihrer Firma die Figur entworfen?«, fragte Kusanagi.
»Nein, der Mann hatte die Zeichnung ursprünglich auf seinem Blog herausgegeben. Und da sie im Netz so beliebt war, nahmen wir ihn unter Vertrag, und er entwarf das Anime.«
»Dann war er kein professioneller Graphiker?«
»Nein, er war Lehrer, ich glaube, nicht einmal Kunstlehrer.«
»Nichts zu machen, Chef«, sagte Kishitani und klickte auf das Menü der Seite. »Es handelt sich definitiv um einen Mann. Hier im Profil steht es auch noch mal.«
»Verzeihen Sie«, meldete sich Eiko Yamamoto zu Wort. »Spielt es irgendeine Rolle, dass der Künstler ein Mann ist?«
»Nur für unseren Fall. Eine Frau hätte uns möglicherweise eine Spur geliefert, die zu seiner Lösung führt.«
»Mit ›Fall‹ meinen Sie den Tod von Herrn Mashiba, nicht wahr?«
»Natürlich.«
»Hat der Fall etwas mit diesem Anime zu tun?«
»Das kann ich Ihnen nicht ausführlich erklären, aber wäre der Künstler eine Frau gewesen, bestünde die Möglichkeit.« Kusanagi seufzte und warf seinem Kollegen einen Blick zu. »Dann können wir wohl gehen.«
»Ja, Chef«, antwortete dieser.
Frau Yamamoto begleitete sie ins Foyer. Kusanagi verbeugte sich leicht. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Dürfen wir wieder auf Sie zukommen, falls es noch Fragen gibt?«
»Selbstverständlich, jederzeit.« Ihre Miene wirkte bedrückt, ganz im Gegensatz zu der kühlen Ausdruckslosigkeit, die sie am Anfang zur Schau getragen hatte.
Die beiden Kriminalbeamten wandten sich zum Gehen.
»Einen Moment noch«, rief sie ihnen nach.
Kusanagi drehte sich um. »Ja, bitte?«
Frau Yamamoto trat näher an sie heran und senkte die Stimme. »Im Parterre dieses Gebäudes gibt es eine Lounge. Würden Sie bitte dort auf mich warten? Es gibt noch etwas, das ich Ihnen sagen möchte.«
»Hat es etwas mit unserem Fall zu tun?«
»Das weiß ich nicht. Es hat aber etwas mit der Stoffrübe zu tun. Mit dem Künstler.«
Nachdem die Beamten einen Blick gewechselt hatten, nickten sie Eiko Yamamoto zu. »Gut, bis gleich also.«
Die Lounge im Erdgeschoss war eine Art öffentliches Café.
Es dauerte nicht lange, bis Eiko Yamamoto erschien. Sie hielt einen großen Umschlag in der Hand und wirkte gehetzt.
»Ich habe mich beeilt«, sagte sie und setzte sich ihnen gegenüber.
»Was wollten Sie uns sagen?«, fragte Kusanagi.
Eiko Yamamoto sah sich um und beugte sich ein wenig vor. »Eigentlich ist
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