Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
sprechen.«
Yukawa streckte die Hand nach der Rechnung aus, aber Utsumi kam ihm zuvor. »Diesmal bin ich dran.«
»Kommt nicht in Frage. Ich habe Sie herbestellt. Und auch noch umsonst.«
Utsumi streckte ihm die freie Hand entgegen. »Geben Sie mir Ihren Zettel. Ich schaue ihn mir an.«
»Aber die Lösung ist rein theoretisch, völlig abstrakt und nicht experimentell überprüfbar.«
»Ich möchte sie trotzdem kennen.«
Yukawa seufzte und holte die Notiz wieder hervor. Utsumi nahm sie entgegen und schob sie in ihre Tasche, nachdem sie den Inhalt gelesen hatte.
»Vielleicht ist Ihre Lösung doch nicht so rein theoretisch und abstrakt, wie Sie es nennen«, sagte sie.
Aber Yukawa legte nur seinen Mittelfinger an den Steg seiner Brille und schob sie an der Nase hoch. »Wer weiß?«, sagte er leise.
»Meinen Sie nicht?«
Seine Augen glitzerten. »Wenn ihr die theoretische Lösung nicht beweisen könnt«, fuhr er fort, »habt ihr verloren. Und ich habe auch nicht gewonnen. Denn dann ist jemandem der perfekte Mord gelungen.«
Kapitel 20
Hiromi Wakayama war in die Betrachtung eines Wandbehangs versunken. Dunkelblaue und graue Fragmente bildeten ein Band, das sich über seine gesamte Fläche zog. Wogend wand es sich um und über sich selbst, bis es sich wieder mit seinem Ursprung zu einer Art ewigem Kreislauf verband. Das geometrische Muster des Entwurfs war ziemlich kompliziert, wirkte aber aus der Ferne betrachtet eher schlicht. Es sehe aus wie ein DNS-Strang, hatte Yoshitaka Mashiba gelästert, aber Hiromi liebte diesen Wandbehang sehr. Bei einer von Ayanes Ausstellungen in Ginza hing er am Eingang. Offenbar war sie stolz auf ihn, sonst hätte sie ihn nicht an einer so prominenten Stelle plaziert. Der Entwurf stammte zwar von ihr, aber angefertigt hatte ihn Hiromi. Nicht selten waren Stücke, die auf Werkausstellungen gezeigt wurden, von den Schülerinnen einer Meisterin genäht worden. Für ein großes Teil brauchte man oft mehrere Monate. Ohne Arbeitsteilung hätte eine Künstlerin gar nicht genügend Werke für eine Ausstellung zusammenbringen können. Dennoch hatte Ayane die meisten Stücke selbst gefertigt. Achtzig Prozent der Exponate dieser Ausstellung stammten aus ihrer Hand. Dennoch hatte sie für den Eingangsbereich ein von Hiromi gearbeitetes Stück gewählt. Diese war tief bewegt und glücklich gewesen, dass die Arbeit ihre Lehrerin so sehr überzeugte. Damals hatte sie sich gewünscht, für immer für Ayane arbeiten zu können.
Ayane stellte ihren Kaffeebecher geräuschvoll auf dem Arbeitstischab. Die beiden Frauen saßen einander gegenüber. Normalerweise fanden um diese Zeit Kurse statt, in denen die Schülerinnen schnippelten und nähten, aber die Schule war noch geschlossen.
»Wirklich?« Ayane umschloss ihren Becher mit beiden Händen. »Wenn das deine Entscheidung ist, kann ich dich nicht daran hindern.«
»Es tut mir sehr leid, es ist egoistisch von mir.« Hiromi ließ den Kopf hängen.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich habe selbst schon gedacht, dass unsere Zusammenarbeit jetzt schwierig werden könnte. So ist es wahrscheinlich am besten.«
»Alles ist meine Schuld. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll.«
»Dann sag auch nichts. Ich kann deine Entschuldigungen allmählich nicht mehr hören.«
»Äh, ja, natürlich, Verzeihung …« Hiromi sah zu Boden. Tränen traten ihr in die Augen, aber sie hielt sie mit aller Kraft zurück. Wenn sie anfinge zu weinen, würde sie die Situation noch unangenehmer für Ayane machen.
Hiromi hatte sie angerufen und um ein Gespräch gebeten. Ohne zu fragen, worum es ging, hatte Ayane Anne’s House als Treffpunkt vorgeschlagen. Sie hat keine Ahnung, was ich will, sonst hätte sie nicht die Schule vorgeschlagen, dachte Hiromi.
Während Ayane Tee kochte, war Hiromi mit ihrer Kündigung herausgerückt.
»Aber wirst du denn zurechtkommen, Hiromi?«, fragte Ayane. »Wovon willst du leben? Es ist nicht so einfach, Arbeit zu finden. Oder werden deine Eltern dich unterstützen?«
»Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden. Meiner Familiemöchte ich nicht zur Last fallen, aber vielleicht geht es nicht anders. Allerdings habe ich etwas gespart und will versuchen, sobald wie möglich auf eigenen Füßen zu stehen.«
»Das klingt nicht sehr vielversprechend. Ob du das schaffst?« Ayane strich sich zum wiederholten Mal das Haar hinter die Ohren. Eine Geste, die zeigte, wie gereizt sie war. »Aber das soll nicht meine Sorge
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