Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
automatischen Sprachsteuerung einer Telefonhotline. Außerdem löst sich das Theodizee-Problem praktischerweise schlicht in Luft auf, wenn man davon ausgeht, dass es gar keinen Gott gibt. Und schließlich fragen wir uns als Fitnessjunkies natürlich auch, wozu Beten letztlich gut sein soll. Die Gottesanrufung verbrennt nämlich gerade mal sechsunddreißig Kalorien, damit liegt sie weit abgeschlagen hinter Zähneputzen mit vierundsiebzig Kalorien und Himmel-und-Hölle-Hüpfen mit einhundertfünfundachtzig Kalorien.
Wir sind »metaphysische Exilanten«, wie Kardinal Meisner die deutsche Jugend einmal nannte. Viele von uns sind sich mittlerweile sicher, dass der Allmächtige nicht tot ist, wie Nietzsche einmal meinte, sondern dass er nie existiert hat. Wir bräuchten Beweise, aber er meldet sich nie, schreibt keine SMS, und bei Facebook hat er auf deutschsprachigen Seiten nie mehr als dreihundert Freunde – weit weniger als Karel Gott und Thomas Gottschalk. Wer sich von uns nicht mehr dem christlichen Clan zugehörig oder von der Kirche gegängelt fühlt, der lehnt sich immer öfter auch dagegen auf, ein religiöses Konzept übergestülpt zu bekommen. Rainer Ponitka aus Lindlar, der den Ketzerstammtisch im Rheinland organisiert, ist so ein Fall. Die Kirche war ihm egal – bis sein Sohn Angst vor dem kleinen gekreuzigten Mann im Klassenzimmer bekam. Er bat die Lehrerin, den christlichen Gegenstand abzuhängen – ohne Erfolg, bis er ein passendes Gerichtsurteil vorzeigte. Im Ort gingen viele für die Kreuze auf die Barrikaden, bis die Pädagogin herausfand, dass Christus nur Zutrittsverbot zu den Räumen hatte, die Ponitkas Sohn regelmäßig aufsuchte. »Mein Anliegen trat einen Sturm der Empörung los, der mir unverhältnismäßig vorkam«, sagt Ponitka, der sich daraufhin dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (ibka e.V.) anschloss. In Deutschland haben sich in den letzten Jahren eine ganze Reihe atheistischer und humanistischer Verbände organisiert und 2010 unter dem Dachverband des Koordinierungsrats säkularer Organisationen, kurz korso , zusammengeschlossen. Dazu gehören unter anderem der Humanistische Verband Deutschlands ( hvd ) und die Giordano Bruno Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus, der viele Prominente aus Kultur und Wissenschaft angehören, darunter die Zeichner Janosch, Gerhard Haderer und Ralf König, die Schriftstellerinnen Karen Duve und Esther Vilar sowie der Hirnforscher Wolf Singer und der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Sie setzen sich dafür ein, die Privilegien der Kirche abzuschaffen und die Menschen zu vertreten, die keinen Glauben haben.
»Wenn Sie Ihr Kind vor Kinderlähmung bewahren wollen, können Sie beten oder es zur Schluckimpfung schicken ... Probieren Sie es mit der Wissenschaft.«
Carl Sagan
Ein beliebtes intellektuelles Mittel der Auflehnung gegen allzu widerstandsfähige Religionsvorstellungen ist die hohe Kunst der Ironie. Unter Gottlosen erfreuen sich deshalb sogenannte Spaßreligionen immer größerer Beliebtheit, die den Glauben ad absurdum führen. So postulieren die »Pastafari«, deren Religion Anfang des neuen Jahrtausends aus Nordamerika zu uns herüberschwappte, dass die Erde und die Menschen vor vielen Tausend Jahren von einem fliegenden Spaghettimonster erschaffen wurden, das Hinweise auf eine Evolution nur gestreut habe, um uns zu verwirren. Gebete beenden die Gläubigen mit dem Wort »Ramen«, dem Namen einer asiatischen Nudelsuppe, und am Passtahfest essen sie Unmengen Nudeln. Nach dem Ableben hält »Seine Nudligkeit« im Jenseits einen Biervulkan und eine Stripperfabrik parat.
Ganz ähnlich funktioniert die von Studenten gegründete Religion um das rosafarbene unsichtbare Einhorn, einer Göttin, die eine Vorliebe für Pizza mit Ananas und Schinken hegt. Anhänger des Einhorns glauben, dass es seine Zuneigung dadurch ausdrückt, dass es Socken aus der Waschmaschine verschwinden lässt. Andere Satirereligionen wie das »Intelligent Falling« behaupten, dass es keine Gravitationskraft gibt und alle Dinge von einer höheren Instanz auf den Boden gedrückt werden. Der sogenannte Diskordianismus hingegen versteht sich als Philosophie gegen Zwang, Autoritäten und Traditionen. Die Angehörigen dieses Pseudoglaubens verehren die Zahl Fünf und das Paradoxe. Eines ihrer fünf Gebote, die Pentabarf ( penta gr. fünf, barf engl. kotzen) genannt werden, lautet: »Ein Diskordier ist am ersten Freitag nach seiner Illumination
Weitere Kostenlose Bücher