Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
»Während meiner Taufe bin ich einen Vertrag mit dem Beschuldigten eingegangen, der mich vor dem Bösen bewahren sollte«, so Pavel – außerdem habe er Gott nicht nur mit Gebeten beschworen, sondern ihm auch Sachwerte überlassen. Das Gericht lehnte die Klage ab – allerdings nur mit der Begründung, dass Gott als juristische Person keine Anschrift habe. In Brasilien wurde im Mai 2002 noch ein Mitglied der Dreifaltigkeitsbande angeklagt: Richter Wellington Carvalho las auf einem Autoaufkleber den Spruch: »Jesus Christus, der beste Weg!«, und hielt dies für illegale Straßenwahlwerbung.
Ob der Allmächtige vors Höchste Gericht kommt oder nicht – vielleicht dient sein Wirken ja doch einem höheren Zweck, selbst wenn es uns bisweilen kriminell vorkommt. Das zumindest ist der Ansatz, den die Theologie verfolgt. Sie unterstellt dem Normalbürger, den Grund für das Übel nur nicht verstehen zu können, er solle aber im Leiden einen höheren Sinn sehen.
Papst Benedikt XVI. ist überzeugt: ohne Leiden keine Erlösung. »Nicht die Vermeidung des Leidens, nicht die Flucht vor dem Leiden heilt den Menschen, sondern die Fähigkeit, das Leiden anzunehmen und in ihm zu reifen, in ihm Sinn zu finden durch die Vereinigung mit Christus, der mit unendlicher Liebe gelitten hat«, sagt er in seiner zweiten Enzyklika Spe Salvi .
»Leiden ist ein Geschenk«, befand auch Mutter Teresa, die angeblich die Vergabe von Schmerzmitteln an ihre armen Patienten oft abgelehnt hat, »denn es gestattet ihnen, ihr Leid mit Christus zu teilen. Das ist sehr schön.« In einem Film über ihre Arbeit erzählte sie, wie sie eine Krebspatientin tröstete: Die starken Schmerzen, unter denen diese litt, seien ein »Kuss von Jesus – ein Zeichen, dass Sie Jesus am Kreuz so nahe sind, dass er Sie küssen kann«. Die Patientin antwortete ihr daraufhin: »Sagen Sie Jesus, dass er aufhören soll, mich zu küssen.«
»Nacktduschen widerspricht katholischer Moral.«
Generalvikariat Köln
Sollen sich nun alle Menschen mit schweren Krankheiten freuen, oder müssen gar Kriegsversehrte es begrüßen, wenn ihnen eine Tellermine die Beine abgerissen hat? Diese Frage erscheint zynisch – genau wie viele der mühsam konstruierten Erklärungsversuche, wenn man sie außerhalb des christlichen Wertesystems vernimmt.
Einige besonders radikale Gottesanhänger suchen den Grunf für unfassbar schlimme Geschehnisse deshalb auch oft nicht im göttlichen Quell der Liebe, sondern in göttlichen Tobsuchtsanfällen: Gott bestraft die Menschen, weil sie ihm nicht gehorchen. So sahen einige amerikanische Christen im Ausbruch des Eyjafjallajökull die Strafe Gottes für die Finanzkrise. Eva Hermann entdeckte im Unfall auf der Loveparade 2010 das Walten höherer Mächte: »Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen«, schrieb sie kurz nach den Geschehnissen auf der Seite ihres Verlages. Und Richard Williamson, seines Zeichens Holocaust-Leugner und Bischof der Pius-Brüder, behauptete sogar, dass Gott mittels seiner Gewalt über tektonische Platten die Japaner 2011 für ihre Sünden bestraft habe.
So oder so – wenn man weder an einen höheren Plan glaubt noch an die Rache eines Einzeltäters, dann wäre ein Gott, der über eine so fehlerhaft konstruierte Erde befiehlt, nur ein Typ wie wir: solide Halbbildung, wenig gesellschaftlicher Einfluss, von lauter Idioten umzingelt, Deadline für die Schöpfung verpennt, deshalb noch schnell alles fertig geschusselt, in der Hoffnung, dass es keinem auffällt. Dass es sich um »die beste aller möglichen Welten« handelt, wie Leibniz einmal zur Rechtfertigung Gottes meinte, glaubt jedenfalls mittlerweile niemand mehr. Hungersnöte, Atomwaffen, Kriege, Kriminalität – all die anderen möglichen Welten müssen doch wirklich hundsmiserabel schlecht sein, um das noch zu toppen?!?
Die Generation Gottlos redet deshalb nicht mehr über Gott, geschweige denn mit ihm: Nur noch ein knappes Drittel der Menschen unter neunundzwanzig Jahren wählt per Gebet regelmäßig die Notfallhotline des Allmächtigen – alle anderen senden allenfalls noch bei den Lottozahlen und beim Elfmeterschießen im Endspiel der Fußball- wm Stoßgebete gen Himmel. Warum sollte man auch jemanden anbeten, der eh nichts für einen tun kann und nur dann und wann jemanden nach dem Zufallsprinzip rettet? Das wäre ähnlich zielführend wie eine philosophische Debatte mit der
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