Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
sind deswegen so verlockend, weil sie Erklärungen für Dinge liefern, bei denen unser Verstand normalerweise passen muss: Auf eine ähnliche Weise, wie Verschwörungstheorien unfassbare historische Ereignisse für das Kleinhirn auf verdaubare Maße konfektionieren, finden wir in der Esoterik simple Deutungen für scheinbar übersinnliche Phänomene. Haben Sie nicht auch schon mal an jemanden gedacht, und derjenige hat kurz darauf angerufen? Oder sind Sie aus unbegründeter Furcht nicht in einen Zug eingestiegen und haben später erfahren, dass er verunglückt ist? Oder Sie treffen sich mit einem Freund, der Sie dazu überredete, in eine Kneipe zu gehen, die Sie noch nie zuvor besucht haben, und dort haben Sie ihre einstige große Liebe wieder getroffen. Zufall oder Schicksal?
Aus diesem Stoff sind Legenden wie jene, die sich um James Deans Tod rankt: Der Schauspieler starb am 30. September 1955 gegen 18 Uhr, als er mit seinem Porsche auf einer Kreuzung in einen anderen Wagen raste. Eine Woche zuvor hatte sich Folgendes ereignet: In einem Restaurant traf Dean seinen berühmten Kollegen Alec Guinness. Dean führte ihm sein neues Sportgeschoss vor, doch Guinness war wenig begeistert. Er sagte: »Bitte steigen Sie niemals hinein. Wir haben heute Freitag, den 23. September, und jetzt ist es genau 22 Uhr. Wenn Sie in diesen Wagen steigen, werden Sie innerhalb einer Woche damit tödlich verunglückt sein.« Damit hatte er Deans Tod exakt vorhergesagt – wenn Mr. Guinness die Wahrheit spricht.
Wir sind anfällig für solche mystischen Ereignisse – kein Wunder, dass Akte X und Fringe so viele Fans haben und wir bei The Next Uri Geller einschalten, um das Mentalisten-Headhunting in der Parapsychologie-Branche zu verfolgen. Dass sich die Geschichte von James Deans Tod genau so zugetragen haben könnte, kommt vielen von uns daher gar nicht so unwahrscheinlich vor. In solchen Momenten hegen wir oft den Verdacht, dass ein größerer Plan hinter all dem steckt und dass da mehr zwischen Himmel und Erde ist, als der Mensch ergründen kann. Das Forschungsinstitut Allensbach fand in einer Umfrage vom März 2005 heraus, dass mehr als zwei Drittel der Deutschen an gute und böse Vorzeichen glauben.
Sie etwa nicht? Denken Sie doch mal an die letzte wm zurück. Es war Sommer, freilich, und Sie können natürlich Ihr vom Fußball und Bier erhitztes Gemüt dafür verantwortlich machen, dass Sie daran geglaubt haben, ein Krake könne die Spielergebnisse der wm vorhersagen, indem er sich einen Leckerbissen aus einem mit einer Flagge beklebten Kasten holt. Aber haben Sie sich nicht auch eine Fritteuse und einen Schnitz Zitrone gewünscht, als Krake Paul, das Orakel von Oberhausen, sich vor dem Halbfinale statt des deutschen das spanische Leckerli holte?
Ein Mitarbeiter des Aquariums musste eine Ausrede erfinden, damit Paul das Finale überhaupt noch erleben würde, ohne einem Lynchmob deutscher Fans zum Opfer zu fallen. Aberglaube und Barbarei liegen eben dicht beieinander.
Schicksal ist eines der häufigsten Worte in unserem Alltag. Wir bemühen es immer dann, wenn etwas geschieht, das wir uns nicht recht erklären können, weil es einerseits absolut zufällig erscheint, aber doch alles ändert – schlimme Unfälle, Wahlergebnisse, Katastrophen, Krankheiten. Nach einer Umfrage von Spiegel und tns Infratest glauben immerhin zweiundfünfzig Prozent der Deutschen, dass »immer oder manchmal eine höhere Macht ihr Leben beeinflusst«. Zweiunddreißig Prozent nennen es Schicksal, zehn Prozent Zufall. Bei den Achtzehn- bis Neunundzwanzigjährigen sind es sogar fünfundfünfzig Prozent, die an Vorbestimmung glauben. Wieso ist es für uns so wichtig, etwas, das uns oder uns nahe stehenden Personen zustößt, einen bedeutungsvollen Namen zu verpassen? Gott hat als Erklärung ausgedient, aber dennoch möchten wir das Gefühl haben, es herrsche irgendeine Absicht in diesem ganzen Chaos.
»Es kann passieren, was will: Es gibt immer einen, der es kommen sah.«
Sonja Ziemann
Auf der Suche nach dem alternativen Sinn des Lebens bekommen wir allerlei scheinbar wohlmeinende neue Freunde. Da gibt es Wahrsager, die Ihnen die Zukunft aus dem Hintern lesen wollen, Reinkarnationstherapeuten, die Ihnen versichern, Sie hätten nur deswegen Probleme in diesem Leben, weil Sie im vorigen ein Serienmörder oder eine Hexe waren, und selbsternannte Indigo- oder Lichtkinder, die sich für hellsichtig halten und mit »einzigartiger göttlicher Arbeitsweise«
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