Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Ihre Blockaden lösen und neben Jenseitskontakten und reinem Hellsehen eine »göttliche Reiki-Licht-Behandlung« in Aussicht stellen. Das Versprechen der neuen Heilslehren lautet, dass man über sie persönliches Glück, Lebenssinn, Zufriedenheit und ganzheitliche Gesundheit findet. »Oft sind es Angebote mit esoterischem Hintergrund, die spirituelle Erfahrungen und Höhenflüge versprechen, als könne man sie kaufen wie andere Waren«, warnt Pfarrerin Annette Kick, Weltanschauungsbeauftragte der evangelischen Landeskirche in Württemberg. Wäre es ihr lieber, die Kunden blieben beim gewohnten geistlichen Konzept?
Wir machen uns auf, zwischen Aurascannern, Pendeln, Heilsteinen, Pülverchen und Tinkturen auf einer Esoterikmesse zu entdecken, ob diese tatsächlich zu einer höheren Bewusstseinsstufe oder doch eher in die Irre führen.
Der Eso-Basar findet in einem eher schnöden modernen Gebäude statt. Die Gäste strömen in den Flachbau, der den rauen Charme einer Billigflohmarkthalle verströmt. Als Erstes drückt uns jemand einen Flyer in die Hand. Auf dem Foto, das darauf abgebildet ist, guckt eine junge Dame, als hätte sie gerade die letzte Straßenbahn verpasst. Die gute Frau hört auf den Allerweltsnamen Omnec Onec. »Ein Klassiker in der spirituellen Literatur: Omnec Onec beschreibt in ihrer Autobiographie das Leben auf der Astralebene der Venus, gibt tiefe Einsichten in uralte Weisheitslehren und spricht über das Abenteuer, warum sie sich dafür entschieden hat, einen physischen Körper zu manifestieren und im Jahr 1955 mit einem Raumschiff auf die Erde zu reisen.« Omnec Onec ist nicht das einzige Wesen, das hier und heute äonenalte Weisheit präsentiert. Außerdem sind unter anderem Matreiya, der Weltlehrer für das Wassermannzeitalter und die Schamanin Tokana mit Reiki für Mensch und Tier am Start.
Nachdem wir uns mit Kartoffelsalat aus Plastikdosen und matschigen Käsebrötchen gestärkt haben, besuchen wir ein Seminar, in dem man uns beibringen will, Auren zu sehen. Die Kursleiterin erzählt, dass sie lange gebraucht hat, um ihre besondere Fähigkeit zu verstehen.
»Ich hab Farben gesehen, da haben die mich in die Psychiatrie gesteckt«, sagt sie.
Empörtes Ausatmen im Saal.
»Ich wusste nicht, dass das normal ist, ich wusste nur, ich sehe überall bunte Wolken um Menschen, Pflanzen und Tiere.«
Dann zeigt sie uns einen Trick, mit dem auch wir Auren sehen können. Sie stellt sich in ihrem schwarzen Kostümchen vor eine weiße Wand. Wir sollen so lange durch sie hindurch auf die Wand starren, bis wir in ihren Umrissen eine Farbe wahrnehmen. Dann tritt sie rasch einen Schritt zur Seite. Bis dahin hat sich ihr schwarzes Kostüm so stark auf der Netzhaut der einzelnen Seminarbesucher eingeprägt, dass fast alle an der Stelle an der Wand, vor der sie zuvor gestanden hatte, ein meist grünliches Abbild ihrer Gestalt wahrnehmen. Ganz klar: Das ist keine Aura, es ist ein optisches Gesetz. Die Frau ist Physikerin!
Sie gibt eine Liste herum, in die man sich eintragen kann, um mehr über Auren zu erfahren; schlappe dreißig Euro für zwei Stunden soll das Seminar kosten. Wenn alle Besucher im Raum kommen, hat sie in dieser Zeit siebenhundertfünfzig Euro verdient. Als Nächstes verteilt sie noch »Aura Balance Akkus«, je einhundertzweiundvierzig Euro das Stück, die durch die neuartige Phi-Lambda-Technologie »bioenergetische Hilfe bei Beschwerden« verheißen, wenn man sie unter die Matratze legt.
Nach dem Kurs treffen wir Silke, siebenundvierzig Jahre alt und blassrosa Strähnchen im Haar, die ihre Tochter und ihren Schwiegersohn auf die Messe mitgeschleppt hat.
»Das Aura-Sehen fand ich total spannend«, sagt sie. »Wir waren ziemlich platt, dass das geklappt hat!«
Silke ist über die Einstiegsdroge Heilsteine zur Esoterik gekommen und seit längerem auf der Suche nach dem tieferen Sinn im Leben.
»Ich gehe etwas anders durchs Leben als andere Menschen«, sagt sie. »Ich möchte wissen, woher komme ich eigentlich, was ist da noch? Ich glaube, dass da noch etwas ist. Man kann halt nicht alles erklären.« Sie lächelt. »Das ist gar nicht so weit von der kirchlichen Botschaft weg«, ergänzt sie dann. Immerhin glaube auch sie an eine Kraft, die alle Dinge durchströmt.
Auch Heiler Robert Schulte, der auf der Messe einen Stand hat, mischt Christliches in sein Konzept. Seine Energie kommt von Gott, sagt er. Gute Referenz, das haben schon ganz andere behauptet.
»Ich gehe zwar nicht in die
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