Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Statussymbole und Markenartikel bestimmen unser Selbstbild und unser Glücksempfinden. Peter Zernisch, der Autor des Buches Markenglauben managen , hält Marken für »epigenetische Werte«. Sie beruhen auf uralten Werten der Menschheit und sind damit einfach das Plus, das der Kunde will, also Freiheit, wenn es um eine Zigarettenmarke geht, Beständigkeit in der Werbung eines fünftürigen Kombis, Mutterliebe, mit der klebrige Halbkugeln aus Karamell und Schokolade beworben werden.
Der dänische Markenberater Martin Lindstrom hat untersucht, was eingeführte Marken im Gehirn auslösen. Eine Louis-Vuitton-Tasche zeigt in der Computertomografie, dass ihr Kauf der Käuferin ein Gefühl der Überlegenheit beschert; ein Mini Cooper regt die gleiche Hirnregion an, die aktiv ist, wenn wir Gesichter erkennen – vor allem Babygesichter. Lindstrom hat außerdem die Emotionen untersucht, die Weltreligionen bei ihren Konsumenten wecken, und dabei festgestellt, dass sie die gleichen Hirnregionen stimulieren, in denen auch die Wohlgefühle beim Betrachten einer erfolgreichen Marke zu Hause sind. »Ist das Christentum nicht selbst eine Marke und das Kreuz eines der sublimsten aller Markenzeichen?«, fragte auch das Handelsblatt bei der Betrachtung christlicher Symbolik.
Einer, der die Macht starker Zeichen kennt und mit einem angebissenen Apfel selbst eins erfunden hat, wird als großer Prophet gefeiert: Steve Jobs, den das New York Magazine »iGod« nannte. Seit den Anfangsjahren von Bill Gates hat es niemand sonst geschafft, sich mit seinen Erfindungen derart in unseren Alltag einzumischen, allgegenwärtig zu sein und eine neue Heilslehre zu verkünden.
Frage: »Was ist der Unterschied zwischen Bill Gates und Gott?«
Antwort: »Gott glaubt nicht, Bill Gates zu sein.«
Informatikerwitz
Steve Jobs erschuf eine vorwiegend weiße, wohldesignte, einfache Welt. Sein Logo scheint geradewegs vom Baum der Erkenntnis zu kommen. Leider nur ist das Inventar seiner Kirche nicht für einen Apple und ein i zu haben. Doch das macht seinen Anbetern nichts – sie kaufen alles, was Steve erschafft. Er sprach, es werde iPod. Er brachte das iPhone zu uns. Er offenbarte uns das iPad. Bei jedem neuen Produkt belagern seine Jünger die Applestores weltweit wie die Gläubigen den Petersplatz bei der Papstansprache. »Believe in Steve«, singt der Klavierkabarettist Bodo Wartke. »Schließt euch uns an und seid nicht länger Skeptiker, werdet auch ihr Mac-ianer, werdet Apple-leptiker! Hallelujah!«
Niemand inszeniert sich und seine Produkte mit so großem Gestus und einer solch missionarischen Haltung wie Steve Jobs. Die Rede, die er 2005 an der renommierten Uni von Stanford hielt, ist für orthodoxe Applenutzer die Bergpredigt des iKults: »Der Tod ist das Schicksal, das wir alle teilen«, verkündete Steve seine Lebensphilosophie. »Deine Zeit ist begrenzt, also verschwende sie nicht, indem du das Leben anderer lebst. Lass nicht das Lärmen anderer Meinungen deine innere Stimme übertönen. Habe den Mut, deinem Herzen und deiner Intuition zu folgen.« Jesus hätte es nicht schöner sagen können.
Steve ist nur einer von vielen modernen Heiligen, die uns Vorbild und Lichtgestalt sind, und die mit ihrem Erfolg und ihrem Ruhm das verkörpern, wonach wir uns alle sehnen: niemals in Vergessenheit zu geraten. Lady Diana galt als Engel, Kurt Cobain wird noch heute so verehrt, dass ihn seine Fans auf Facebook bei Gott gegen Lady Gaga eintauschen wollen. Wir machen Prominente zu Heiligen. Ihre Biographien gleichen modernen Evangelien: Keith Richards kündet in Life vom wahren Leben zwischen Whiskypulle, Rock ’n’ Roll und einem Drogencocktail, Barack Obama sagt in Ein amerikanischer Traum , wie man es bis ganz nach oben schafft, und was ein moderner Medienmessias ist, lesen wir in Julian Assange – Der Mann, der die Welt veränderte . Das Schöne am Starkult ist, dass unsere modernen Heiligen nicht erst sterben müssen. Es gibt sie hier und heute, live und in Farbe, und Shows wie Das Supertalent oder Germany’s Next Top Model verheißen uns, dass auch wir den Weg ins Paradies des Ruhms finden können.
Andere Neo-Heilige trifft man vermehrt auf Fußballplätzen an. Das Spiel mit dem runden Leder trägt für viele Fans ebenfalls religiöse Züge. Das belegen Bestseller wie Fußball unser , Spiele, die als »Wunder von Bern«, oder Turniere, die als »Sommermärchen« in die Annalen eingehen, und Spieler, die als Fußballgötter bezeichnet
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