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Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?

Titel: Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan;Weiss Bonner
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der Universität Bonn weist bereits jeder siebte Arbeitnehmer Symptome der Arbeitssucht auf. Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow erkannte, dass Fragen nach dem Sinn vorwiegend in existenziellen Notsituationen auftreten, beispielsweise, wenn man Hunger habe oder Schmerzen leide. Daher hinterfragen viele Menschen ihr Tun lange Zeit nicht, sondern erst dann, wenn der Stresskollaps da ist, und selbst dem können wir oft noch etwas Gutes abgewinnen: Der Burn-out wird von vielen als eine Art Auszeichnung betrachtet, wie eine Kriegsverletzung, die von bedingungslosem Einsatz und Tapferkeit kündet. Wer damit Probleme hat, sucht zur Seelsorge allerdings nicht den nächstbesten Pfarrer auf. Wir gehen lieber zum Psychiater, treten zur Beichte im Personalgespräch an oder tun Abbitte im Coachingseminar, das mit Bühnenprediger und gemeinsam wiederholten Formeln wie »Chakka – du schaffst es!« nicht nur entfernt an einen Gottesdienst erinnert.
    »Geld ist die wahre Weltreligion.«
    Bernie Ecclestone
    Der Job ist so für viele von uns zu einer Ersatzreligion geworden. Warum auch nicht, es fühlt sich ja schließlich gut an, wenn man erfolgreich ist, seine Aufgabenliste am Ende der Woche abgehakt hat oder als Märtyrer an der Arbeitssucht kaputtgeht. Das Karrierestreben hat letztlich die gleiche Funktion wie der Glauben: Es soll unserem Leben Sinn und Orientierung geben.
    Fleiß hat als Lebenssinn darüber hinaus einen großen Vorteil: Er ist in unserem gesellschaftlichen System als Tugend anerkannt. »Die Gesellschaft«, meinte einmal der Berliner Medienwissenschaftler Norbert Bolz, »braucht ein Stellensystem der Antworten, das man traditionell Religion nennt.« Unsere moderne Religion sei daher der Kapitalismus, weil er uns Antworten und eine Befriedigung verspreche. Einer der ersten Propheten dieses Religionsersatzes war der Kulturphilosoph Walter Benjamin. »Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken«, schrieb er. »Der Kapitalismus dient essenziell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen und Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben.«
    Wie so viele Lebensentwürfe und Kulturgüter in den vergangenen sechzig Jahren, haben wir auch die kapitalistische Sinnstiftung aus den USA importiert, dem Traumland aller ambitionierten Tellerwäscher. Die einfache Rechnung: Bist du erfolgreich, bist du wohlhabend, erfüllst du dir alle Wünsche, bist du glücklich. Jeder neue Wohlstandslevel, jede neue Errungenschaft bedeutet einen weiteren Schritt zum Glück, eine neue Stufe auf dem Weg zum irdischen Paradies im Konsumtempel. Der traditionelle Glaube kann da oft nicht mithalten. »Der Wohlstandsatheismus ist für die Kirche wesentlich gefährlicher als etwa der staatlich verordnete Atheismus der ddr , denn er hat etwas zu bieten«, sagt auch Pfarrer i.R. Christian Führer. »Die neuen Tempel dieser wohl-riechenden Wohlstandswelt, Banken und Kaufhäuser, haben – besonders auch für Jugendliche – eine große Anziehungskraft.« Wer die Erfüllung beim Shoppen schöner Dinge findet, findet das natürlich nicht schlimm. Und sollte dabei doch einmal etwas schief gehen, haben wir ja Lebens- und Krankenversicherungen abgeschlossen. Unsere Geschicke legen wir deshalb nicht mehr in die Hand eines kirchlichen Seelsorgers, sondern in die unseres Arztes oder Finanzberaters.
    »Wir sind hier auf der Welt nur für einen kleinen Moment. Was wirklich zählt, ist, was wir erschaffen, was wir aufbauen. Was zählt, sind unser Handeln und unsere Entscheidungen. Das bleibt für immer. Das ist der wahre Wert unseres Daseins.«
    Nicolas Berggruen
    Wichtig, das wissen wir aus den »echten« Religionen, sind Rituale und Feste als gemeinschaftsstiftende Erlebnisse zur Bestärkung des Glaubens. Wer einmal an einem Samstagmorgen beobachtet hat, wie sich Ströme Kaufwütiger durch die Fußgängerzonen unserer Großstädte drängen, der weiß: Die wichtigste – und schönste – Zeremonie der Konsumgemeinde ist das Einkaufen. »Weltreligion Shoppen« nennt der Spiegel das Phänomen. »Shoppen ist allgegenwärtige Metaphysik auf Kleiderstangen, Gott in Einkaufstüten. (...) Der Weg ist das Ziel, jedes Schaufenster eine Offenbarung, jedes Logo ein Glücksgefühl – von Chanel bis Harley Davidson.« Im Kauf liegt der Schlüssel zum Seelenheil, solange die Güter genügend Bedürfnisse erfüllen. Der Fernsehwerbespot, in dem uns ein Produkt als unentbehrlich präsentiert wird, ist der moderne Kurzgötzendienst.

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