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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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wirtschaftlichen Unterdrückung, das dir vorschreibt, dass deine Füße in den Belatang-Farmen verrotten oder deine Lungen in den Weiterverarbeitungsfabriken verätzt werden? Dass du auf zerbröselndem Fels nach Halt suchst und in den Tod stürzt, während du versuchst, Simsfrüchte zu ernten, nur weil du zufällig arm geboren wurdest?«
    »Du redest von Verhältnissen, die seit dreihundert Jahren nicht mehr herrschen«, sagte ich sanft. »Aber das ist nicht der Punkt. Mir tut es nicht um die Harlan-Familie Leid. Es geht mir um die armen Scheißer, die ungefragt zu einem politischen Standpunkt verurteilt wurden, von ihren Vorfahren aus der Schwarzen Brigade, lange bevor sie selbst geboren wurden. Du kannst mich gerne als altmodisch bezeichnen, aber ich entscheide gerne selber, wen ich ermorde und warum.« Ich hielt mich einen Moment lang zurück, aber dann führte ich den Schlag dennoch aus. »Und nach dem, was ich gelesen habe, hat es Quellcrist Falconer genauso gehalten.«
    Ein Kilometer Blau mit weißen Gischtkronen rauschte an uns vorbei. Der Gravantrieb im linken Ausleger murmelte kaum hörbar vor sich hin.
    »Wie soll ich das verstehen?«, flüsterte sie schließlich.
    Ich hob die Schultern. »Du hast das Ding ausgelöst.«
    »Es war eine Waffe der Quellisten.« Ich nahm einen Hauch von Verzweiflung in ihren Worten wahr. »Es war das Einzige, womit ich noch arbeiten konnte. Findest du, dass es schlimmer als eine Wehrpflichtigenarmee ist? Schlimmer als die optimiert geklonten Kampfsleeves, in die das Protektorat seine Soldaten dekantiert, damit sie ohne Mitgefühl oder Reue töten können?«
    »Nein. Aber ich finde, dass es im Widerspruch steht zu den Worten Ich werde euch nicht auffordern, für eine Sache zu kämpfen, zu leben oder zu sterben, die ihr nicht zuvor verstanden und aus eurem eigenen freien Willen angenommen habt.«
    »Das weiß ich!« Jetzt war es deutlich zu hören, eine gezackte Fehlerlinie, die durch ihre Stimme lief. »Glaubst du wirklich, dass ich das nicht weiß? Aber welche Wahl hatte ich damals? Ich war allein. Die Hälfte der Zeit habe ich halluziniert, Oshimas Leben geträumt und…« Sie erschauderte. »Andere Dinge. Ich war mir niemals sicher, wann ich das nächste Mal aufwachen und was ich dann vorfinden würde. Manchmal war ich mir nicht einmal sicher, ob ich jemals wieder aufwachen würde. Ich wusste nicht, wie viel Zeit ich noch hatte, und manchmal wusste ich nicht einmal, ob ich überhaupt noch real war.Kannst du dir vorstellen, wie das ist?«
    Ich schüttelte den Kopf. Bei den Einsätzen als Envoy hatte ich die unterschiedlichsten albtraumhaften Erfahrungen gemacht, aber ich hatte nie auch nur einen Moment lang daran gezweifelt, dass alles absolut real war. Das ließ die Konditionierung einfach nicht zu.
    Ihre Hände umklammerten wieder fest die Reling auf dem Ausleger. Die Fingerknöchel traten weiß hervor. Sie blickte auf den Ozean hinaus, aber ich glaubte nicht, dass sie ihn wirklich sah.
    »Warum soll es wieder Krieg gegen die Harlan-Familie geben?«, fragte ich sie behutsam.
    Sie warf mir mit einer ruckhaften Kopfdrehung einen Blick zu. »Glaubst du, er hätte jemals aufgehört? Glaubst du, nur weil wir ihnen vor dreihundert Jahren ein paar Zugeständnisse abgerungen haben, werden diese Leute aufhören, nach Möglichkeiten zu suchen, uns wieder in die Armut der Zeit vor dem Bürgerkrieg zurückzustoßen? Dies ist kein Feind, der irgendwann verschwindet.«
    »Ja, dies ist ein Feind, den man nicht töten kann. Ich habe diese Rede schon als Kind gelesen. Das Seltsame ist nur, dass du für jemanden, der erst seit ein paar Wochen hin und wieder wach war, erstaunlich gut informiert bist.«
    »Ganz so war es nicht«, sagte sie und richtete die Augen wieder auf die vorbeieilende See. »Als ich das erste Mal richtig aufwachte, hatte ich bereits seit Monaten Oshima geträumt. Es war, als würde man gelähmt in einem Krankenhausbett liegen und jemanden, von dem man denkt, es könnte der Arzt sein, auf einem schlecht eingestellten Monitor beobachten. Ich habe nicht verstanden, wer sie war, nur dass sie für mich wichtig war. Die Hälfte der Zeit wusste ich, was sie wusste. Manchmal fühlte es sich an, als würde ich in ihr emporschweben. Als könnte ich meinen Mund auf ihren legen und durch sie sprechen.«
    Mir wurde klar, dass sie gar nicht mehr zu mir sprach. Die Worte flossen einfach wie Lava aus ihr heraus und erleichterten einen inneren Druck, über dessen Gestalt ich nur

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