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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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alter Freund.«
    Sylvie zuckte die Achseln. Hauptsächlich schaute sie immer noch auf den nördlichen Horizont. »Dann könnte es etwas sein, das die Mimints produziert haben. Ein Virus, der Wiedererkennungsroutinen in einem menschlichen Gehirn auslöst, der einen glauben lässt, man würde etwas sehen oder hören, das man bereits kennt. Jedes Individuum, das davon infiziert wird, würde ein passendes Fragment finden.«
    »Das klingt nicht sehr wahrscheinlich. Immerhin hatten die Mimints in letzter Zeit nicht allzu viel menschliche Interaktion, mit der sie hätten arbeiten können. Mecsek ist erst seit – wie lange? – drei Jahren oder so aktiv.«
    »Vier.« Ein mattes Lächeln. »Micky, die Mimints wurden dazu konstruiert, Menschen zu töten. Das war ihr ursprünglicher Zweck vor dreihundert Jahren. Niemand kann sagen, ob eine solche virale Waffe so lange überlebt hat oder vielleicht sogar sich selbst etwas mehr geschärft hat.«
    »Bist du jemals auf etwas Derartiges gestoßen?«
    »Nein. Aber das heißt nicht, dass es so etwas da draußen nicht gibt.«
    »Oder hier drinnen.«
    »Oder hier drinnen«, stimmte sie mir lakonisch zu. Sie wollte, dass ich endlich ging.
    »Es könnte auch nur eine weitere Bombe in Form einer Persönlichkeitshülle ein.«
    »Oder das.«
    »Ja.« Ich blickte mich noch einmal um. »Also gut. Wie komme ich jetzt hier raus?«
    »Der Kran.« Für einen kurzen Moment kehrte sie zu mir zurück. Ihre Augen lösten sich vom Norden und suchten den Blickkontakt zu mir. Sie deutete mit einem Nicken nach oben, wo eine Stahlleiter im Gitterwerk der Maschine verschwand. »Kletter einfach rauf.«
    Großartig.
    »Pass gut auf dich auf, Sylvie.«
    »Das werde ich.«
    Sie küsste mich flüchtig auf den Mund. Ich nickte, klopfte ihr auf die Schulter und wich ein paar Schritte zurück. Dann wandte ich mich der Leiter zu, legte die Hände auf das kalte Metall der Sprossen und stieg hinauf.
    Sie wirkte durchaus solide. Auf jeden Fall besser als eine von Reißflüglern verpestete Felswand oder die Unterseite marsianischer Architektur.
    Ich war mehrere Meter zwischen den Streben hinaufgeklettert, als ihre Stimme zu mir heraufschwebte.
    »He, Micky!«
    Ich schaute nach unten. Sie stand unter dem Gerüst des Krans und blickte zu mir herauf. Sie hatte die Hände an den Mund gelegt. Ich löste vorsichtig eine Hand von der Leiter und winkte ihr zu.
    »Ja?«
    »Hab mich gerade erinnert. Grigori Ishii. Wir haben ihn in der Schule durchgenommen.«
    »Und was haben wir über ihn gelernt?«
    Sie breitete die Arme aus. »Keine Ahnung, tut mir Leid. Wer erinnert sich schon an so was?«
    »Richtig.«
    »Frag doch sie danach.«
    Guter Vorschlag. Dagegen sprach höchstens die Envoy-Vorsicht. Und gleich an zweiter Stelle hartnäckiges Misstrauen. Die Verweigerung. Ich war nicht bereit, Quells glorreiche Rückkehr zum verbilligten Tarif zu kaufen, den Koi und die Käfer problemlos zu akzeptieren schienen.
    »Vielleicht werde ich das tun.«
    »Gut.« Sie hob zum Abschied die Hand. »Taste dich hinauf, Micky. Kletter weiter und schau nicht nach unten.«
    »Ja«, rief ich hinunter. »Du auch, Sylvie.«
    Ich kletterte. Die Käscherstation schrumpfte auf die Dimension eines Kinderspielzeugs. Das Meer nahm die Struktur von gehämmertem grauen Metall an, das an einen schrägen Horizont geschweißt war. Sylvie war ein Punkt, der nach Norden blickte, dann war sie zu klein, um sie überhaupt noch erkennen zu können. Vielleicht war sie schon gar nicht mehr da. Die Streben um mich herum verloren jede Ähnlichkeit mit dem Kran, zu dem sie einmal gehört hatten. Das kalte Licht der Dämmerung verdunkelte sich zu einem flackernden Silberschein, der in Mustern auf dem Metall tanzte, die irritierend vertraut wirkten. Es schien mich überhaupt nicht anzustrengen.
    Ich wandte den Blick ab und schaute nach oben.

 
40
     
     
    »Also?«, fragte sie schließlich.
    Ich starrte aus dem Fenster auf Vchira Beach und das glitzernde Sonnenlicht auf den Wellen. Strand und Wasser füllten sich allmählich mit winzigen menschlichen Gestalten, die darauf aus waren, das Wetter zu genießen. Die Büros von Dzurinda, Tudjman & Sklep waren ausgesprochen gut von der Außenwelt abgeschirmt, aber man konnte die sich ansammelnde Hitze beinahe spüren, den zunehmenden Lärm des damit einhergehenden Tourismus beinahe hören. Ich hatte mit niemandem gesprochen, seit ich aus dem Konstrukt gekommen war.
    »Du hattest offenbar Recht.« Ich erübrigte einen Seitenblick

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