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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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spürte, wie ein plötzlicher, einengender Schwall aus Beschämung durch mich pulsierte.
    »Tut mir Leid.«
    »Das will ich hoffen. Würdest du gerne durchleben, was sie Orr und den anderen angetan haben? Denn ich habe alles hier drinnen, jederzeit abrufbar.«
    »Sylvie, du kannst nicht…«
    »Sie hatten einen schrecklichen Tod, Micky. Allen wurde die Haut abgezogen. Am Ende hat Kiyoka wie ein Baby geschrien, dass ich kommen und sie holen soll. Würdest du dich gerne darin einklinken und es eine Weile mit dir herumtragen, wie ich es tun muss?«
    Ich erschauderte, was sich auf das gesamte Konstrukt zu übertragen schien. Ein leichtes, kaltes Vibrieren hing in der Luft um uns.
    »Nein.«
    Danach saßen wir längere Zeit schweigend nebeneinander. Die Gäste der Tokio-Krähe kamen und gingen geisterhaft.
    Nach einer Weile gestikulierte sie vage nach oben.
    »Weißt du, die Aspiranten glauben, dass dies die wahre Existenz ist. Dass die Außenwelt nur eine Illusion ist, ein Schattentheater, das vom Gott der Vorfahren geschaffen wurde. Sie hat uns als Wiege gedient, bis wir erwachsen geworden sind und in eine maßgeschneiderte Realität hinüberwechseln konnten. Das klingt sehr tröstlich, nicht wahr?«
    »Wenn man es so stehen lassen will.«
    »Du hast sie als Virus bezeichnet«, sagte sie nachdenklich.
    »Als Virus war sie hier drinnen sehr erfolgreich. Sie hat meine Systeme infiltriert, als wäre sie eigens dazu erschaffen worden. Vielleicht ist sie da draußen genauso erfolgreich wie im Schattentheater.«
    Ich schloss die Augen. Drückte eine Hand auf mein Gesicht.
    »Stimmt was nicht, Micky?«
    »Bitte sag mir, dass du das jetzt metaphorisch gemeint hast. Ich glaube, ich ertrage im Moment keinen weiteren fanatischen Glaubensanhänger.«
    »He, wenn dir dieses Gespräch nicht passt, kann du dich gerne verpissen!«
    Die plötzliche Schärfe ihres Tonfalls schleuderte mich nach New Hok und zum scheinbar endlosen Gezänk der DeComs zurück. Bei dieser Erinnerung zerrte ein ungewolltes Lächeln an meinen Mundwinkeln. Ich öffnete die Augen und sah sie wieder an. Legte beide Hände flach auf die Theke, seufzte und ließ das Lächeln heraus.
    »Ich bin gekommen, um dich herauszuholen, Sylvie.«
    »Ich weiß.« Sie legte eine Hand auf meine. »Aber mir geht es hier drinnen gut.«
    »Ich habe Las versprochen, auf dich aufzupassen.«
    »Dann pass auf sie auf. Damit hilfst du auch mir.«
    Ich zögerte, suchte nach den richtigen Worten. »Sie könnte möglicherweise eine Art Waffe sein, Sylvie.«
    »Aha? Sind wir das nicht alle?«
    Ich schaute mich zu den grauen Zeitraffergeistern in der Bar um. Horchte auf das Amalgam des leisen Gemurmels. »Ist das wirklich alles, was du willst?«
    »Im Augenblick ist es alles, womit ich klarkomme, Micky.«
    Mein Drink stand unberührt vor mir auf der Theke. Ich erhob mich. Griff nach dem Glas.
    »Dann sollte ich lieber zurückgehen.«
    »Klar. Ich bringe dich raus.«
    Der Whisky war billig und brennend, nicht das, was ich erwartet hatte.
     
    Sie ging mit mir zum Hafen hinunter. Hier hatte die Morgendämmerung bereits kalt und blassgrau eingesetzt, und im gnadenlosen Licht gab es keine Menschen, weder als geraffte Pastiche noch sonstwie. Die Käscherstation war geschlossen und verlassen, die Anlegestellen und der Ozean dahinter waren frei von Verkehr. Alles wirkte nackt, entblößt, und der Andrassy-Ozean rauschte heran und schwappte mit mürrischer Energie gegen den Kai. Wenn man nach Norden schaute, konnte man Drava in ähnlich vergessener Stille unter dem Horizont erahnen.
    Wir standen unter dem Kran, an derselben Stelle, wo wir uns zum ersten Mal begegnet waren, und mir wurde mit geradezu greifbarer Eindringlichkeit bewusst, dass dies unsere letzte Begegnung war.
    »Eine Frage?«
    Sie blickte aufs Meer hinaus. »Klar.«
    »Deine bevorzugte aktive Agentin da oben sagt, sie hätte in den Arrestkonstrukten jemanden wiedererkannt. Grigori Ishii. Sagt dir dieser Name etwas?«
    Ein leichtes Stirnrunzeln. »Er kommt mir bekannt vor, ja. Nur dass ich dir nicht sagen kann, woher. Aber ich wüsste nicht, wie eine DigIn-Persönlichkeit hier hereingekommen sein könnte.«
    »Tja.«
    »Hat sie gesagt, dass es dieser Grigori war?«
    »Nein. Sie sagte, da wäre etwas, das nach ihm klingt. Aber als du zusammengeklappt bist, nachdem wir das Skorpiongeschütz erledigt hatten, anschließend, als du in Drava wieder rausgekommen bist, hast du gesagt, es würde dich kennen, etwas würde dich kennen. Wie ein

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