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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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Fenster und sah eine klassische Kleinstadt der gemäßigten Breiten, die zu einem Hafen abfiel, der zu einer gewundenen Bucht gehörte. Der Farbton von Belatang im Wasser, Sichelscheiben von Hotei und Daikoku vage sichtbar im knallblauen Himmel. Die Stadt hätte sonst wo sein können. Schiffe und menschliche Gestalten bewegten sich in Verteilungsmustern umher, die sehr realitätsnah wirkten.
    Ich ging zur Tür mit dem schlecht befestigten Kredo und legte die Hand an den Griff. Sie war nicht verriegelt, aber als ich versuchte, in den Korridor dahinter zu treten, tauchte ein Jugendlicher vor mir auf und  schubste mich zurück.
    »Mutter sagt, du sollst in deinem Zimmer bleiben«, sagte er in ätzendem Tonfall. »Basta.«
    Die Tür schlug mir ins Gesicht.
    Ich starrte längere Zeit darauf, dann öffnete ich sie erneut.
    »Mutter sagt, du sollst…«
    Der Schlag brach ihm die Nase und warf ihn zurück gegen die Wand. Ich hielt die Faust locker geschlossen und wartete, ob er zurückkommen würde, aber er glitt nur an der Wand herunter, blutend und mit offenem Mund. Der Schock ließ seine Augen trübe werden. Ich trat vorsichtig über ihn hinweg und machte mich auf den Weg durch den Korridor.
    Nach weniger als zehn Schritten spürte ich sie hinter mir.
    Es war minimal und fundamental, ein Rascheln in der Textur des Konstrukts, das Kratzen krepprandiger Schatten, die die Wände hinter meinem Rücken erreichten. Ich blieb stehen und wartete. Etwas legte sich wie Finger um meinen Kopf und meinen Hals.
    »Hallo, Sylvie.«
    Ohne erkennbaren Übergang stand ich an der Bar der Tokio-Krähe. Sie hing mehr neben der Theke und hielt ein Glas Whisky in der Hand, obwohl sie das gar nicht getrunken hatte, als wir real dort gewesen waren. Vor mir stand ein ähnlicher Drink. Die Gäste wirbelten mit Zeitraffergeschwindigkeit um uns herum, die Farben zu verwaschen, nicht substanzieller als der Rauch von den Pfeifen an den Tischen oder die verzerrten Reflexe im Spiegelholz unter unseren Gläsern. Lärm war zu hören, aber nur verschwommen, und er murmelte am unteren Rand der Hörbarkeit, wie das Summen eines hochleistungsfähigen Maschinensystems, das hinter den Wänden auf Standby lief.
    »Seit du in mein Leben getreten bist, Micky Dusel«, sagte Sylvie Oshima ruhig, »scheint es auseinander zu fallen.«
    »Es hat hier nicht angefangen, Sylvie.«
    Sie sah mich von der Seite an. »Ich weiß. Ich sagte, es scheint. Aber ein Muster ist ein Muster, ob wahrgenommen oder wirklich. Alle meine Freunde sind tot, RT, und nun stellte ich fest, dass du sie getötet hast.«
    »Nicht dieses Ich.«
    »So scheint es…« Sie hob den Whisky an die Lippen. »Aber irgendwie macht es das für mich nicht besser.«
    Sie kippte den Drink hinunter. Erschauderte, als er ihr durch die Kehle rann.
    Wechsel das Thema.
    »Also rieselt bis hier hinunter, was sie dort oben hört?«
    »Bis zu einem gewissen Grad.« Sie stellte das Glas zurück auf die Theke. Durch Systemzauber wurde es wieder aufgefüllt, langsam, wie etwas, das durch das Gewebe des Konstrukts sickerte. Zuerst das gespiegelte Bild, von oben nach unten, und dann das wirkliche Glas vom Grund bis zum Rand. Sylvie sah düster zu. »Aber ich bin immer noch dabei, herauszufinden, wie sehr wir über die sensorischen Systeme miteinander verflochten sind.«
    »Wie lange trägst du sie schon in dir, Sylvie?«
    »Ich weiß es nicht. Seit einem Jahr? Seit dem Iyamon-Canyon vielleicht? Da bin ich zum ersten Mal weggetreten. Ich bin zum ersten Mal aufgewacht und wusste nicht, wo ich war. Ich hatte dieses Gefühl, meine Existenz wäre ein Zimmer, in dem jemand gewesen war, der die Möbel umgestellt hat, ohne mich zu fragen.«
    »Ist sie real?«
    Ein raues Lachen. »Das fragst du mich? Hier drinnen?«
    »Okay, weißt du, woher sie gekommen ist? Wie du sie dir eingefangen hast?«
    »Sie ist entkommen.« Oshima drehte sich wieder um und sah mich an. Ein Achselzucken. »Das hat sie immer wieder gesagt, ich bin entkommen. Natürlich wusste ich das sowieso. Sie kam aus einer Arrestzelle, genauso wie du.«
    Unwillkürlich blickte ich über die Schulter und suchte nach dem Korridor vor dem Schlafzimmer. Keine Spur davon im verrauchten Gedränge der Bar, kein Anzeichen, dass er jemals existiert hatte.
    »Das war eine Arrestzelle?«
    »Ja. Gewobene Komplexitätsreaktion. Die Kommandosoftware baut sie automatisch um alles herum, das ins Kapazitätsgewölbe eindringt und Sprache benutzt.«
    »Es war nicht besonders schwierig,

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