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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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gedämpfter Glut am Horizont ertrunken. Und nun bemerkte ich auch eine frische Brise über der Lagune, die den unverkennbaren Geruch des Meeres herantrug.
    »Was ist mit dem Wetter?«
    »Es wird sich ändern.« Murakami schnupperte. »Erinnerst du dich an den Sturm, der sich eigentlich im Süden von Nurimono austoben sollte? Hat er nicht getan. Und nun scheint es, dass er durch eine verirrte nordwestliche Luftströmung neue Kraft geschöpft hat und einen Haken schlägt. Er kommt wieder zurück.«
    Der Lauschende Ebisu.
    »Bist du dir sicher?«
    »Natürlich bin ich mir nicht sicher, Tak. Es ist eine verdammte Wettervorhersage. Aber selbst wenn wir nicht die volle Kraft des Sturms abkriegen, käme uns ein bisschen steifer Wind und horizontaler Regen durchaus gelegen, nicht wahr? Chaotische Systeme kann man immer sehr gut ausnutzen.«
    »Das«, sagte ich vorsichtig, »hängt sehr stark davon ab, wie gut dein nervöser Freund Vlad als Pilot ist. Du weißt, wie sie einen hakenschlagenden Sturm hier unten nennen?«
    Murakami sah mich verständnislos an. »Nein. Großes Pech?«
    »Nein, sie nennen sie einen Lauschenden Ebisu. Nach der Geschichte von den Fischern und ihrem Gast.«
    »Ach so, richtig.«
    Hier im tiefen Süden war Ebisu kaum wiederzuerkennen. Im Norden und der Äquatorialregion von Harlans Welt hatte die japamenglische kulturelle Vorherrschaft ihn zum volkstümlichen Gott der Meere gemacht, den Schutzpatron der Seefahrer und im Allgemeinen zu einer gutmütigen Gottheit, die man gerne um sich hatte. Der heilige Elmo wurde ihm gerne als Entsprechung oder Hilfsgott zur Seite gestellt, um die mehr christlich beeinflussten Bevölkerungsteile einzuschließen und nicht zu erzürnen. Aber in Kossuth, wo das Erbe der osteuropäischen Arbeiter, die diese Welt aufgebaut hatten, noch stark vertreten war, konnte man nichts mit dem Prinzip ›leben und leben lassen‹ anfangen. Ebisu trat dort als unterseeischer Dämon auf, mit dem man Kinder ins Bett scheuchte, als Monstrum, gegen das legendäre Heilige wie Elmo in den Kampf ziehen mussten, um die Gläubigen zu beschützen.
    »Du erinnerst dich, wie die wahre Geschichte endet?«, fragte ich.
    »Klar. Ebisu hinterlässt den Fischern jede Menge toller Geschenke zum Dank für ihre Gastfreundschaft, aber dann vergisst er seine Angelrute, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Also… äh… kommt er zurück, um sie sich zu holen, und als er gerade anklopfen will, hört er, wie die Fischer über seine mangelnde Körperhygiene lästern. Seine Hände stinken nach Fisch, er putzt sich nie die Zähne, und seine Kleidung ist zerlumpt. All das Zeug, was man Kindern beibringen sollte, richtig?«
    »Richtig.«
    »Ja, ich erinnere mich, wie ich Suki und Markus diese Geschichte erzählt habe, als sie noch klein waren.« Murakamis Blick richtete sich in die Ferne und vermischte sich am Horizont mit den aufziehenden Wolken. »Das muss jetzt schon fast ein halbes Jahrhundert her sein. Kaum zu glauben, was?«
    »Erzähl die Geschichte zu Ende, Todd.«
    »Richtig. Äh… wie ging es dann weiter? Ach ja. Ebisu ist stinksauer und marschiert hinein. Er schnappt sich seine Angelrute, und als er wieder nach draußen stürmt, verwandeln sich hinter ihm alle seine Geschenke in verrottenden Belatang und toten Fisch. Er springt ins Meer, und in den folgenden Monaten fangen die Fischer kaum noch etwas. Die Moral der Geschichte: Achtet auf eure Körperhygiene, aber was viel wichtiger ist, Kinder, redet nicht hinter dem Rücken anderer Leute Schlechtes über sie!«
    Er sah mich wieder an.
    »Wie war ich?«
    »Dafür, dass es fünfzig Jahre her ist, ziemlich gut. Aber hier unten erzählt man sich die Geschichte etwas anders. Ebisu ist nämlich verdammt hässlich, mit Tentakeln, Schnabel und Zähnen, er ist ein furchterregender Anblick, und den Fischern fällt es ziemlich schwer, nicht einfach schreiend davonzulaufen. Aber sie bezwingen ihre Furcht und bieten ihm trotz allem ihre Gastfreundschaft an, was man eigentlich nicht für einen Dämon tun sollte. Also gibt Ebisu ihnen alle möglichen Geschenke, die er aus Schiffen gestohlen hat, die von ihm selbst versenkt wurden, und dann geht er. Die Fischer atmen in großer Erleichterung auf und reden darüber, wie schrecklich er aussieht, wie monströs, und wie klug sie sich verhalten haben, weil sie nun all diese Geschenke von ihm bekommen haben. Und dann platzt er mitten in ihre Runde, weil er seinen Dreizack vermisst.«
    »Also keine Angelrute?«
    »Nein, nicht

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