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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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den Mund. Nein, ich will ihn küssen, das Gift auf seiner Zunge reicht bestimmt aus, um hundert Frauen zu töten.]«
    Sie kroch zum Rand des Grabes, geschüttelt von drogeninduziertem Schmerz. Maya packte sie beim Fußgelenk und zerrte sie zurück. »[Rühr ihn nicht an, ich mein’s ernst. Halt auf Abstand. Ich säge ihn jetzt auf.]«
    »[Maya, wie kannst du nur! Wie kannst du ihn aufsägen, damit er schneller verwest? Das ist kein Cordon bleu, das ist Bruno!]«
    »Tut mir Leid, Schätzchen, aber wenn du wie ich die großen Seuchen überlebt hättest, dann wüsstest du, dass Menschen nach ihrem Tod einfach nur tot sind.« Am liebsten hätte sie sich für dieses Eingeständnis die Zunge abgebissen, doch darauf kam es nicht mehr an; in ihrem Zustand hörte Therese ihr gar nicht mehr zu. Sie schrie, bis der Wald widerhallte, ein entsetzliches Heulen, Ausdruck elementarer Trauer und Qual.
    In Thereses Rucksack entdeckte Maya eine Folie mit Beruhigungsmittel. Das Mittel war recht milde, daher löste sie sechs Pflaster ab. Therese wehrte sich nicht, als Maya ihr die Pflaster auf den Hals drückte. Sie hatte sich wie ein Embryo zusammengekrümmt und umklammerte stöhnend ihre verfärbte Hand. Dann setzte unvermittelt die Wirkung des Tranquilizers ein.
    Maya rieb Thereses Hand mit dem restlichen Mineralka ab. Das aufgesprühte Lacrimogen war ein widerliches Zeug. Man konnte damit mühelos jemanden ermorden. Eine geschicktere Methode konnte Maya sich kaum vorstellen.
    Sie trat an den Rand des Grabes. Bruno war noch immer tot. Eher ein bisschen toter. Sie drückte ihm die Augen zu. Dann füllte sie die Spritze.
    »Also, du großer Bursche«, sagte sie, »ruhe in Frieden. Du hast ein kleines Mädchen gefunden, das dir diesen Dienst wirklich gerne erweist.«
    Als sie fertig war, war es dunkel geworden. Die Arbeit war widerlich gewesen, die makabere Parodie eines medizinischen Eingriffs. Gleichwohl hatte sie das Gefühl, ehrliche Arbeit verrichtet zu haben.
    Therese ging es wieder besser. Therese war jung und stark, junge Leute waren in der Lage, an einem Tag mehr Stimmungen zu durchlaufen als alte Leute in einem Monat. Therese wankte mit Maya zum Wagen zurück.
    »Wo ist sein Koffer?«, fragte Therese. Ihre Augen waren gerötet, und sie zitterte.
    »Den hab ich zusammen mit den Klamotten und dem Werkzeug in den Kofferraum getan.«
    »Hol ihn bitte raus.«
    Therese durchsuchte Brunos Koffer in rasender Eile. Schließlich holte sie ein längliches Kästchen aus grauer Metallglaslegierung heraus. Sie öffnete es.
    »Ich kann’s einfach nicht glauben«, sagte sie und betrachtete verzückt den Inhalt. »Ich dachte, er wollte mich verarschen.«
    »Ich dachte, er wollte dich ermorden.«
    »Nein, wollte er nicht. Dazu hat das bisschen Spray nicht ausgereicht. Er wollte sich bloß von einer Frau beweinen lassen. Nachdem ich so viel geweint habe, geht’s mir wieder besser. Alles in Ordnung. Ich werde nie wieder um ihn weinen. Schau mal, Maya, was er mir geschenkt hat. Eine wundervolle Hinterlassenschaft von meinem toten alten Mann.« Sie hielt Maya das kleine Kästchen hin.
    Es war mit schwarzem Samt ausgeschlagen und enthielt zwei Dutzend kleine, gesprenkelte Muscheln.
    »Muscheln?«, sagte Maya.
    »Kaurimuscheln«, erklärte Therese. »Ich bin reich!« Sie schloss das Kästchen behutsam, dann klappte sie den Koffer zu und rammte ihn in den Kofferraum. »Lass uns losfahren«, sagte sie, das Kästchen mit beiden Händen haltend. »Lass uns was trinken. Ich habe so viel geweint, und jetzt bin ich durstig. Ach, ich kann einfach nicht glauben, dass ich das alles getan habe.« Sie öffnete die Wagentür und stieg ein.
    Der Wagen fuhr knirschend und knackend durchs Gebüsch. Plötzlich blickte Therese sich um und lachte. »Ich kann’s noch nicht recht glauben, aber ich habe gewonnen. Ich komme damit durch. Jetzt wird sich mein Leben von Grund auf ändern.«
    »Ein Kästchen mit Muscheln«, meinte Maya versonnen. Der Wagen steuerte selbständig durch den dunklen Wald, suchte sich den Weg zur Autobahn.
    »Das ist wenigstens kein Müll. Es gib heutzutage so viel Müll auf der Welt«, meinte Therese und lehnte sich zurück. »Lauter Virtualitäten und Fälschungen. Wir haben alles in wertlosen Müll verwandelt. Diamanten und Edelsteine sind billig. Münzen, jedermann kann heutzutage Münzen fälschen. Briefmarken sind so leicht zu fälschen, dass es geradezu lachhaft ist. Geld besteht nur aus Einsen und Nullen. Aber stell dir mal vor, Maya -

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