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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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keine Pilze entwickeln.«
    »Sehr praktisch.«
    »Man muss schließlich sehen, wie man zurechtkommt! Man kann schließlich nicht alles stehen und liegen lassen und anfangen, unter Bäumen und Brücken zu schlafen. Wenn man’s richtig anfängt, gehört eine ganze Menge Know-how dazu. Das ist eine Kunst.« Brett bearbeitete ihre pelzigen Achselhöhlen mit einem Deoroller.
    »Wo verwahren Sie eigentlich Ihre überzähligen Klamotten?«
    Brett stutzte. »Ich bin ein Profi! Wenn ich neue Sachen brauche, lasse ich sie mir einfach realisieren.« Sie holte ein kleines Netzgerät hervor und zupfte sich mit Blick in den hochgeklappten spiegelnden Bildschirm die Augenbrauen.
    Mia räumte derweil das Geschirr ab. »Wie wär’s mit Nachtisch?«
    »Nein, danke.«
    »Möchten Sie was zum Anziehen? Ich könnte Ihnen was borgen.«
    »Ach, es geht schon. Es ist warm hier.«
    »Dann vielleicht einen Aufguss?«
    »Können Sie heiße Schokolade machen?«
    »Klar. Kakao wäre prima.« Mia holte das Tinkturenset und machte sich daran, die Katalysatoren und Enzyme neu zu mischen. Dünne Leitungen aus bernsteinfarbenem Polyvinyl und Stahllegierung. Vergoldete Ringe. Emaillierte Klammern. Osmosemembranen. Mischbehälter und Filter und durchsichtige, mit Schläuchen versehene Kammern. Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Es hielt die Hände beschäftigt, wenn man sich mit jemandem unterhielt.
    Brett holte die Schlange hervor und versetzte ihr einen Schlag auf den Kopf. Die Schlange zuckte zurück und ließ ein zorniges Rasseln vernehmen. Brett hielt ihr den rechten Unterarm hin. Der Kopf der Schlange schnellte vor, und die Zähne gruben sich in Bretts Fleisch.
    Brett löste die Schlange behutsam und tätschelte sie beruhigend. Sodann tupfte sie Salbe auf die beiden Bissmale. Ein kleines Blutrinnsal trat hervor. »Uff«, machte sie.
    »Was haben Sie sich verabreicht?«
    »Oh, der Frau, von der ich das Zeug habe, musste ich versprechen, es niemandem zu sagen«, antwortete Brett selbstgefällig. »Es vermittelt mir Sicherheit und Geborgenheit, wenn ich an fremden Orten schlafe ... Ich fühle mich gut davon, aber es tut mir nicht wirklich gut. Deshalb achte ich darauf, dass es jedes Mal ein bisschen weh tut. Wenn man ungesunde Sachen macht und es vermeidet, dass sie weh tun, dann ist man auf dem besten Wege, sich große Schwierigkeiten einzuhandeln.«
    »Ein Schlangenbiss birgt sicher ein hohes Infektionsrisiko.«
    »Was, eklige warmblütige Keime aus einem hübschen Kaltblütermaul? Das kann ich mir nicht vorstellen. Snakey ist schnell und sauber. Sie ist mein guter Freund im Rucksack ... Man braucht halt besondere Dinge. Und besondere Freunde.« Brett blinzelte, die Lider wurden ihr schwer. Sie lächelte.
    Sie tranken Kakao. Brett schlief ein.
    Mia deckte Brett zu und zog sich in ihr schmales Bett zurück. Sie schob das Überdruckzelt beiseite, zog die Decke hoch bis ans Kinn und ließ die Gedanken schweifen. Ihr kleines Schlafzimmer machte einen leblosen, leeren Eindruck, ähnlich der papierenen Hülle eines verlassenen Wespennests.
    Tagsüber hatte sie die Gedanken an die Bestattung verdrängt, jetzt aber, da es dunkel und still war, stahl sich das Wissen um ihre eigene Sterblichkeit wieder in ihr Bewusstsein. Mit unerbittlicher Klarheit und Genauigkeit vergegenwärtigte Mia sich die endlose Liste der Syndrome des Alterungsprozesses. Die unendliche Fülle und Vielgestaltigkeit des körperlichen Verfalls.
    Nahtstellen bildeten Knoten und verkalkten. Knorpelmembranen verknöcherten. In der Gallenblase, in der Leber und in den Arterien bildeten sich steinharte mineralische Ablagerungen. Die Fingernägel wurden dicker, die Haut wurde schuppig, das Haar dünnte aus, ergraute, wurde spröde. Die Brustwarzen dunkelten ein, die Brüste erschlafften, die Blutgefäße schrumpften, die Drüsen trockneten ein. Die Harn- und Geschlechtsorgane, der schlaue Fruchtbarkeitskompromiss der Evolution mit der Sterblichkeit, bereiteten ständig Probleme. Das Knochenmark starb ab und wurde durch dicke gelbe Fettablagerungen ersetzt. Die Netzhaut und der komplizierte Mechanismus des Innenohrs arbeiteten nicht mehr richtig. Das Gehirn, diese uralte Drüse, stellte seinen hormonalen Ausstoß solange um, bis sich seine reptilienhaften Bereiche mit toxischen Ablagerungen füllten, als wollte es eine Kindheitsneurose austreiben.
    Mia war nicht krank, und sie war sicherlich nicht dem Tod nahe, doch die Jugend lag weit hinter ihr. Sie hatte sich einen klaren Kopf bewahrt,

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