Heiliges Feuer
Korb.
»Ich verstehe«, sagte Mia.
»Sind Sie reich, Mia?«
»Könnte man so sagen«, antwortete Mia. »Ja. Ich bin wohlhabend.«
»Wie haben Sie das geschafft?«
»Durch regelmäßiges Einkommen, niedrige Ausgaben, Grundbesitz und langes Warten.« Mia lachte. »Auf diese Weise können selbst unbelebte Objekte reich werden.«
»Mehr brauchten Sie nicht zu tun?«
»So leicht, wie sich das anhört, ist es nicht. Die niedrigen Ausgaben sind das schwerste. Es ist leicht, Geld zu verdienen, aber es ist schwer, das Geld nicht auf der Stelle auszugeben.«
»Besitzen Sie ein großes Haus, Mia?«
»Ich habe eine Wohnung in der Parnassus Street. Am Gesundheitszentrum. Eigentlich ist es gar nicht weit von hier.«
»Haben Sie dort viel Platz?«
Mia zögerte. »Sie möchten bei mir schlafen, wollen Sie darauf hinaus?«
»Darf ich, Mia? Nehmen Sie mich mit? Bloß für eine Nacht. Ich schlafe auf dem Boden, daran bin ich gewöhnt. Ich will bloß nicht von Griff gefunden werden, verstehen Sie. Ich brauche ein bisschen Ruhe, um über alles nachzudenken. Bitte sagen Sie ja,
Sie würden mir einen großen Gefallen tun.«
Mia überlegte. Sie würde sich vielleicht eine Menge Ärger einhandeln, doch aus irgendeinem Grund schreckte sie der Gedanke nicht ab. Sie hatte eine so intensive Beziehung zu dem Mädchen entwickelt, dass sie eine beinahe abergläubische Scheu davor hatte, die Verbindung jetzt abzubrechen. Sie war sich nicht sicher, ob sie Brett mochte und ob sie ihrem eigenen neunzehnjährigen Ich wiederbegegnen wollte. Aber trotzdem: neunzehn Jahre alt! Sie brachte es nicht über sich, Brett den Wunsch abzuschlagen. »Sind Sie hungrig, Brett?«
»Ich könnte was vertragen.« Auf einmal war Brett wieder guter Dinge.
»Es ist hier so ordentlich und sauber«, sagte Brett, als sie beinahe auf Zehenspitzen durch Mias Wohnung schlich. »Sieht es hier immer so aus?«
Mia machte sich in der Küche zu schaffen. Eigentlich war sie kein besonders ordentlicher Mensch, doch in den Siebzigern war ihre Unordentlichkeit von ihr abgefallen. Sie war aus dem Durcheinander einfach herausgewachsen, so wie ein Kind die Milchzähne verliert. Von da an wusch Mia das Geschirr ab, machte stets das Bett, hob herumliegende Sachen auf und räumte sie weg. Auf diese Weise lebte es sich leichter, und es kam ihr auch vernünftiger vor. Schmutz und Unordnung vermittelten ihr nicht mehr das Gefühl von Lockerheit, Freiheit oder Spontaneität. Siebzig Jahre hatte sie gebraucht, um zu lernen, hinter sich aufzuräumen, doch nachdem sie es einmal verinnerlicht hatte, konnte sie nicht mehr davon ablassen.
Sie wusste nicht, wie sie Brett das erklären sollte. Ein solch tiefgreifender Persönlichkeitswandel wäre einer Neunzehnjährigen niemals begreifbar gewesen. Hier war eine Halbwahrheit eher angebracht. »Zweimal die Woche kommt eine Sozialarbeiterin vorbei.«
»Mann, wie lästig.« Brett betrachtete einen gerahmten Verpackungskarton. »Was ist denn das?«
»Ein Stück aus meiner Sammlung. Das ist die Verpackung eines Computerspiels aus dem zwanzigsten Jahrhundert.«
»Was, dieses riesige silberne Wesen mit den Fangzähnen und Muskeln und all den Kriegsmaschinen und so?«
Mia nickte. »Das war eine Art von Virtualität, aber sie war flach und langsam und wurde in einem Glaskasten dargestellt.«
»Weshalb sammeln Sie dieses Zeug?«
»Es gefällt mir.«
Brett war noch nicht überzeugt.
Mia lächelte. »Es gefällt mir wirklich! Ich mag es, weil es einerseits so high-tech-mäßig ultrafortschrittlich tut und andererseits so gewalttätig und derb daherkommt. Das Design und die Vermarktung haben eine Menge Geld gekostet, denn damals hat es die Leute beeindruckt, wenn man viel Geld ausgegeben hat. Trotzdem wirkt es dilettantisch und plump. Von dem Spiel gab es mal Tausende von Kopien, jetzt aber sind sie vergessen. Ich mag es, weil sich nur wenige Leute für diesen altmodischen Schund interessieren. Wenn ich mir dieses Bild anschaue und darüber nachdenke - wo es herkam und was es bedeutet -, also, dann fühle ich mich mir selbst irgendwie näher.«
»Ist es sehr wertvoll? Jedenfalls sieht es grässlich aus.«
»Der Karton wäre wertvoll, wenn das Spiel noch drin wäre. Es leben noch ein paar Leute, die das Spiel in ihrer Jugend gespielt haben. Manche von ihnen sind vernarrt in Museumsstücke, sie horten die uralten Rechner, Disketten, Kassetten, Kathodenstrahlröhren, alles. Sie kennen sich alle durchs Netz und verkaufen einander
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