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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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durchkommen! Wenn man den Nerv dafür hat, ist es ganz leicht.«
    »Was würden Ihre Eltern sagen?«
    Brett lachte bitter. »Ich würde mich in Stuttgart nicht untersuchen lassen. Ich würde mich in Europa versteckt halten, und ich würde mich erst wieder untersuchen lassen, wenn ich zurück bin. In Europa gibt es keine medizinischen Aufzeichnungen über mich. Niemand könnte mich finden. Ich könnte heute Abend noch losfliegen. Niemand würde was merken.«
    Sie gingen bergan, und Mia brannten die Knöchel. »Ohne offizielle Dokumente könnten Sie in Europa kaum etwas ausrichten.«
    »Die Leute reisen doch ständig umher! Solange man keinen wichtigen Eindruck macht, kann man sich alles erlauben.«
    »Wie denkt Griff darüber?«
    »Griff hat keine Phantasie.«
    »Und wenn er nach Ihnen sucht?«
    Bretts Miene umwölkte sich. »Dieser Mann, mit dem Sie mal befreundet waren. Ihr Geliebter. War er Griff wirklich so ähnlich?«
    »Schon möglich.«
    »Was ist aus ihm geworden?«
    »Er wurde heute bestattet.«
    »Ach«, meinte Brett. »Allmählich dämmert es mir.« Sie berührte leicht Mias wattierte Schulter. »Jetzt hab ich’s kapiert. Tut mir Leid.«
    »Schon gut.«
    Eine Weile gingen sie schweigend weiter. Mia atmete schwer. Dann brach Brett das Schweigen. »Ich wette, Sie haben ihn insgeheim bis zuletzt geliebt.«
    »Nein. So war es nicht.«
    »Aber Sie waren heute bei seinem Begräbnis.«
    »Ja, schon.«
    »Also, ich wette, tief in Ihrem Innern haben Sie ihn die ganze Zeit geliebt.«
    »Ich weiß, das würde romantisch wirken«, sagte Mia, »aber so war es nicht. Jedenfalls nicht für mich. Ich habe ihn nicht halb so sehr geliebt wie einen besseren Mann, den ich später kennengelernt habe und an den ich jetzt auch kaum mehr denke. Obwohl ich fünfzig Jahre lang seine Frau war.«
    »Nein, nein, nein«, beharrte Brett aufgekratzt, »ich wette, dass Sie zu Sylvester Mnemos nehmen und Alkohol trinken, an Ihre alten Freunde denken und weinen.«
    »Alkohol ist Gift«, sagte Mia. »Und Mnemos machen bloß Probleme. Aber junge Frauen glauben eben, alte Frauen würden sich so verhalten. Posthumane Frauen sind ganz anders. Wir sind weder traurig noch nostalgisch. Richtig alte Frauen, die noch gesund und rüstig sind - die sind bloß anders. Wir ... wir kommen darüber hinweg.« Sie stockte. »Richtig alte Männer, jedenfalls manche von ihnen…«
    »Aber er kann Ihnen nicht vollständig gleichgültig gewesen sein, sonst hätten Sie im Bus nicht um ihn geweint.«
    »Ach, um Himmels willen«, sagte Mia. »Das galt nicht ihm, das betraf die allgemeine Situation! Die menschliche Situation! Die posthumane Situation ... Wenn ich über den Verlust meines Liebeslebens geweint hätte, wäre ich mit Ihrem Freund ausgestiegen, nicht mit Ihnen.«
    »Sehr komisch«, sagte Brett und warf Mia einen eifersüchtigen Blick zu. Sie wurde schneller, ihre elastischen Sohlen quietschten auf dem Pflaster.
    »Ich wollte damit keinesfalls andeuten, dass ich versucht hätte, Ihnen den Freund abspenstig zu machen«, sagte Mia sehr vorsichtig. »Ich glaube, er sieht verdammt gut aus, aber das steht nicht besonders weit oben auf meiner Prioritätenliste.«
    Sie überquerten den Mittelstreifen. »Ich weiß, weshalb Sie das gesagt haben«, meinte Brett mürrisch, als sie einen halben Block weiter waren. »Ich wette, Sie würden sich richtig gut fühlen, wenn Sie mir einen gut gemeinten Erwachsenenrat geben und mir vielleicht eine Jacke kaufen könnten, und wenn ich zu Griff zurückkehrte und wir gemeinsam nach Europa gingen und uns genau so verhielten, wie ein junges Liebespaar sich verhalten sollte.«
    »Weshalb sind Sie so misstrauisch?«
    »Ich bin nicht misstrauisch. Ich bin bloß nicht naiv. Ich weiß, Sie glauben, ich wär ein kleines Mädchen, ein neunzehnjähriges kleines Mädchen. Ich bin vielleicht nicht reif, aber ich bin eine Frau. Ich bin sogar eine gefährliche Frau.«
    »Ach, wirklich.«
    »Ja.« Brett ruckte mit dem Kopf. »Ich habe Wünsche, die dem Status quo zuwiderlaufen, verstehen Sie.«
    »Das klingt ziemlich ernsthaft.«
    »Und es macht mir nichts aus, andere Menschen zu verletzen, wenn ich dazu gezwungen bin. Hin und wieder tut ihnen das sogar gut. Verletzt zu werden. Ein wenig schockiert zu werden.« Bretts hübsches junges Gesicht nahm einen eigentümlichen Ausdruck an. Nach einer Weile wurde Mia bewusst, dass Brett sich bemühte, verrucht und verführerisch zu wirken. Dabei wirkte sie so durchtrieben wie ein Kätzchen in seinem

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