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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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somatischen Empfindungen damit einhergehen würden.
    »Ich glaube, Sie wollen mich darauf vorbereiten, dass es äußerst schmerzhaft sein wird«, sagte Mia.
    Ihr Berater war Dr. Rosenfeld, ein äußerst gut erhaltener Kliniker mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und dunklem Haar, das er in der Mitte gescheitelt hatte. Er hatte sich bemüht, Mia zu erklären, dass er sich dem hippokratischen Eid, den er vor siebzig Jahren abgelegt hatte, noch immer verpflichtet fühlte. Dr. Rosenfelds Ansicht nach gab es einige hundert Millionen Medizintechniker, und dann erst kamen die eigentlichen Ärzte. Dr. Rosenfeld war ein traditioneller, ein richtiger Arzt. Er hätte niemals zugelassen, dass sich einer seiner Patienten ohne ausführliche Beratung dieser tiefgreifenden Umwandlung unterzog.
    »Der Begriff ›Schmerz‹«, sagte Dr. Rosenfeld, »beruht auf landläufigen Vorstellungen der mentalen Funktionen. Wir müssen unterscheiden zwischen der subjektiven Schmerzempfindung auf einer höheren Ebene und der zugrunde liegenden Abfolge somatischer Nervenreizungen. Sämtliche Prozesse der NTDZ wären bei einem voll funktionsfähigen Gehirn äußerst schmerzhaft, doch die Funktionsweise Ihres Gehirns wird stark beeinträchtigt sein. Haben Sie schon einmal vom Korsakov-Syndrom gehört?«
    »Ja, hab ich.«
    »In der modernen Praxis unterscheiden wir einunddreißig Substadien des Korsakov-Syndroms ... Man wird sie für die Dauer der Behandlung in einen dieser amnetischen Zustände versetzen. Das ist eine Art von Virtualität, allerdings ausgesprochen heilsam. Extreme Schmerzzustände könnten gewisse, die Reize vorbewusst verarbeitende Hirnzentren zwar durchdringen, doch würden sie nicht durch normale Kanäle weitergeleitet. Wir werden die Emissionen ständig überwachen, und ich kann Ihnen garantieren, dass nichts von dem, was vorbewusst passieren mag, Ihrem Bewusstsein zugänglich werden wird, weder während der Behandlung noch später.«
    »Dann fühle ich zwar den Schmerz, nehme ihn aber nicht wahr.«
    »Das ist wiederum reine Semantik. ›Fühlen‹ ist ein sehr breitgefasster, ungenauer, umgangssprachlicher Begriff. Das gilt übrigens auch für den Begriff ›Ich‹. Vielleicht könnte man sagen, dass Empfindungen auftreten werden, jedoch ohne jede Ichverknüpfung.« Dr. Rosenfeld lächelte. »Ontologie ist faszinierend, nicht wahr? Ich hoffe, wir können dieses Gespräch fortsetzen, ohne auf Rene Descartes zurückgreifen zu müssen.«
    »Ich habe Rene Descartes gelesen.«
    »Der alte Bursche hat die Zirbeldrüse vorausgeahnt.« Dr. Rosenfeld breitete seine langfingrigen, gepflegten Hände aus. »Die NTDZ ist keine reine Wartungstechnik. Sie kommt dem, was man als wahre Verjüngung bezeichnen könnte, so nahe wie nur irgend möglich. Dieses Behandlungsprogramm könnte unseren Patienten den Weg zur Unsterblichkeit eröffnen.«
    Mia lächelte bloß. Dies hatte sie schon häufiger gehört und gelesen. Medizinunternehmer behaupteten gerne, dass ausgerechnet ihre Methode der Lebensverlängerung die Patienten geradewegs zu einem künftigen medizinischen Durchbruch führen werde.
    »Dieser Werbespruch wurde in der Vergangenheit überstrapaziert«, räumte Dr. Rosenfeld ein. »Aber betrachten Sie die Zahlen und den Trend. Es lässt sich nicht übersehen, dass sich das Tempo der Fortschritte bei der Lebensverlängerung beschleunigt. Früher oder später erreichen wir das Plateau. Wir werden die Lebensspanne um ein Jahr pro Jahr erhöhen. Dann werden die Patienten praktisch unsterblich sein.«
    »Einige Patienten«, sagte Mia. »Vielleicht.«
    »Ich behaupte nicht, wir wären schon so weit oder könnten das Plateau bereits sehen. Offenbar liegen noch viele harte Jahrzehnte der Forschung vor uns. Aber mit der NTDZ könnten einige unserer Patienten diesen Tag erleben.«
    »Ich habe Sie nicht um Versprechungen gebeten, Doktor. Ich werde dann an Unsterblichkeit glauben, wenn sie bei Ratten und Hunden verwirklicht ist.«
    »Bei Fruchtfliegen und Nematoden sind wir bereits so weit«, meinte Dr. Rosenfeld.
    »Ich bin keine Fruchtfliege«, wandte Mia ein.
    »Wohl wahr«, sagte Dr. Rosenfeld. »Ich verstehe Ihren Standpunkt. Aber Sie sind eine außergewöhnliche Frau in privilegierter Stellung. Bislang haben sich erst vierzig Personen dieser Behandlung unterzogen. Keine von ihnen hatte exakt die gleiche klinische Vorgeschichte wie Sie. Die Behandlung in ihrer gegenwärtigen Form ist erst zwei Jahre alt. Es gibt kaum postoperative Erfahrungen

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