Heiliges Feuer
mit Patienten. Und dies geht uns beide etwas an.«
Mia nickte.
»Sobald Sie den Tank verlassen haben, werden Sie sich der Folgen einer sehr tiefgreifenden metabolischen Veränderung bewusst werden. Wenn Sie in die Rekonvaleszenzphase eintreten, werden Sie nicht mehr die Frau sein, die jetzt hier vor mir sitzt. Sie werden feststellen, dass Sie nicht einmal mehr Herr über Ihren Körper sind. Einen Großteil der Nerven- und Muskelkoordination werden Sie eingebüßt haben.«
Dr. Rosenfeld klappte ein Notebook auf. »Sie sind vierundneunzig Jahre alt. Aus Ihrer Krankenakte geht hervor, dass Sie seit dem zwanzigsten Lebensjahr etwa 12 Prozent des neuronalen und glialen Gewebes abgebaut haben. Das ist ganz normal und natürlich, aber die NTDZ ist alles andere als normal und natürlich. Sie werden all dieses Gewebe zurückerhalten - natürlich nicht das Originalgewebe, aber frisches Gehirngewebe, das im wesentlichen jungfräulich ist. Und Gehirngewebe kann man nicht einfach ein- oder abschalten, ein- oder ausbauen. Es wird ein Teil von Ihnen sein. Ein Teil Ihres neuen Ich.«
»Wie gefährlich ist das?«
»Sagen wir, Sie werden während des integrativen Prozesses eine Menge Zuwendung und Unterstützung benötigen.«
»Was habe ich schlimmstenfalls zu erwarten?«
»Nun ja ... Wie Sie wissen, hatten wir in der Anfangsphase zwei Todesfälle zu verzeichnen. Nervenversagen, Ausfall der höheren Körperfunktionen, Euthanasie. Die übliche ethische Prozedur - tragisch, aber nicht ungewöhnlich. Sie könnten im Verlauf der Behandlung sterben. Das ist bereits vorgekommen.«
»Und was noch?«
»Tiefgreifende psychische Dissoziation. Das, was man früher als schizoides Verhalten bezeichnete. Präepileptische Symptome. Wir verstehen diese psychischen Prozesse auf zellulärer Basis mittlerweile recht gut. Wenn es zu keinen schwerwiegenden körperlichen Schäden wie Gehirnschlag, Infarkt, Amyloidose kommt, lassen wir einfach nicht zu, dass unsere Patienten ins Stadium des Schwachsinns eintreten. Wir greifen vorher ein und verhindern größere neuronale Schäden.«
Er lehnte sich zurück. »Doch es gibt noch andere, subtilere Probleme: Kulturschock, Anomie, postoperatives Trauma, ein paar Hinweise auf bipolare Störungen. Dazu kommt die altbekannte sture Ungeduld des Menschen ... Das menschliche Bewusstsein ist die höchststehende und komplizierteste metabolische Funktion in der ganzen Natur. Wir können die Seele mit medizinischen Begriffen belegen, aber wir vermögen sie nicht in einen Kasten zu sperren. Wir können Menschen nicht so einfach eine Identität verpassen, wie wir ihnen eine Injektion verabreichen; letzten Endes müssen die Menschen ihre Seele selbst finden.«
»Sind Sie religiös, Doktor?«
»Ja, das bin ich. Ich bin katholischer Laienbruder.«
»Ach. Das ist ja interessant.«
»In Ihrer Lage würde ich Ihnen nicht zum Gebrauch von Entheogenen raten, Mia. Wenn Sie Ihrem Heiland von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten wollen, dann wird Er auf Sie warten. Sie haben noch sehr viel Zeit.« Dr. Rosenberg lächelte.
Mia nickte und enthielt sich klugerweise eines Kommentars.
Dr. Rosenfeld zögerte. »Dürfte ich Sie etwas fragen? Wann hatten Sie das letzte Mal einen Orgasmus?«
Mia überlegte. »Ich würde sagen, vor etwa zwanzig Jahren.«
»Sehr klug. Ich bin sicher, das hat Ihrem Metabolismus gut getan. Allerdings werden sich jetzt, da Ihr Stoffwechsel nahezu wiederhergestellt wird, bei Ihnen auch wieder sexuelle Empfindungen einstellen. Ich will nicht sagen, dies sei unangenehm, denn Sexualität ist sehr erfreulich, aber es wird nicht leicht für Sie sein. Tatsächlich stellt die Sexualität das schwerwiegendste Problem dar, mit dem unsere Patienten bei ihrer Genesung konfrontiert werden.«
»Wirklich? Wie eigenartig.«
»Menschen in unserem fortgeschrittenen Alter finden sich mit dem Verlust der Libido ab. Unsere älteren Patienten meinen häufig, sie könnten den Geschlechtstrieb durch einen reinen Willensakt unterdrücken. Das ist eine Täuschung. Könnten Menschen ihre Sexualität beherrschen, wäre die Menschheit bereits im Pleistozän ausgestorben.« Einen Moment lang schwieg er versonnen. »Sie haben die Wechseljahre längst hinter sich. Für die Eileiter können wir nicht viel tun. Wir würden die Eizellen sowieso nicht wiederherstellen wollen, denn die Ethiker missbilligen das. Daher werden Sie nicht wieder fruchtbar werden.«
Mia lächelte. »Hören Sie, Doktor. Ich war einmal eine junge Frau.
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