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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Phantastisch. Darf ich ein Foto machen?«
    »[Nein.]«
    Sie schaute sich verwundert in dem Durcheinander um: Handtaschen, Schuhe, Sportgeräte, Recorder, auseinander genommene Laptops, haufenweise Touristenklamotten aus gestohlenen Koffern. »Dieser Raum ist ein richtiges Archiv. Hast du hier einen Touchscreen, der eine Passgeste erkennen und mich in einen Erinnerungspalast der sechziger Jahre bringen kann?«
    »[Tut mir Leid, Schatz]«, sagte Ulrich, »[aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest.]« Er näherte sich ihr mit ausgebreiteten Armen.
    Sie küssten sich fieberhaft. Es wurde wärmer im Raum, aber nicht so warm, dass man gerne die Kleider abgeworfen hätte. »Wo können wir es tun?«
    »[Dort drüben ist ein Schlafsack. Ich hab ihn einem Skifahrer geklaut, und er ist sehr warm. Groß genug für zwei.]«
    »Okay«, sagte sie und löste sich aus seiner hartnäckigen Umklammerung. »Ich möchte, dass du es tust, und du weißt, dass ich es tun möchte. Klar? Aber ich weiß, dass du es dringender willst als ich. Deshalb bestimme ich die Regeln. Okay?«
    Ulrich hob die Brauen. »[Regeln?]«
    »Genau, Ulrich, Regeln. Regel Nummer eins: Du weißt nicht, wer ich bin oder woher ich komme. Und du wirst auch nicht versuchen, es herauszufinden.«
    »[Oh, die Vorstellung, Regeln aufzustellen, gefällt mir, Schatz. Das macht bestimmt Spaß.]«
    »Regel Nummer zwei: Du redest mit deinen verlotterten Freunden nicht über mich. Du redest mit niemandem über mich.«
    »[Das ist ausgezeichnet, ich bin kein Informant. Das sind zwei Regeln, aber ...]« Ulrich stockte. »[Du weitest das begriffliche Territorium rasch aus.]«
    »Regel Nummer drei: Ich werde solange in diesem Haus bleiben, bis du genug von mir hast, und du hast dafür zu sorgen, dass ich nicht erfriere, und musst darauf achten, dass ich esse.«
    »[Wir sollten besser später über all diese Vorschläge reden]«, meinte Ulrich. »[Das klingt anspruchsvoll. Außerdem habe ich selbst unter den günstigsten Umständen niemals mehr als zwei Regeln gleichzeitig beachten können.]«
    Sein Vorschlag hatte einiges für sich. Sie schlüpfte mit ihm zusammen in den Schlafsack. Sie zogen sich aus und umarmten sich. Erst streichelten und betasteten sie einander, was köstlich war, dann wurde es leidenschaftlich. Maya hatte den Eindruck, es dauere eine wundervolle Ewigkeit, doch in Wirklichkeit währte es bloß acht Minuten. Was ebenfalls in Ordnung war.
    Als er gekommen war, setzte sie sich im Schlafsack auf. Der Schlafsack des Skifahrers war mit Webfolie gefüttert, und mittlerweile war es darin so heiß wie in einem Backofen. »Das war schön. Ich fühle mich sehr glücklich.«
    »[Ich bin auch glücklich]«, erklärte Ulrich zuvorkommend. Er befand sich in der Phase postkoitaler Depression und war sichtlich bemüht, sich dem Einfluss der Hormone zu entziehen. Es war lange her, dass sie dies bei einem Mann beobachtet hatte, aber irgendwie kam es ihr rührend vertraut vor. Mit den Realitäten der männlichen Physiologie hatte sie sich schon vor sehr langer Zeit abgefunden. Sie hätte ihn gern noch weiter geküsst, aber wenn er ins Raster passte, würde er entweder ein Sandwich wollen oder gleich einschlafen.
    »[Ich könnte uns etwas Leckeres zu essen holen«], sagte Ulrich mit roboterhafter Förmlichkeit. »[Möchtest du etwas?]«
    »Ja, etwas Amorphes. Etwas Vernetztes und Tryptophanhaltiges.«
    »[Wie bitte?]«
    »Irgendwas, nur bloß kein Gemüse und kein totes Tier.«
    »[Ist gut.]« Ulrich kleidete sich methodisch an. Er schaffte es, ihr aufmunternd zuzublinzeln. »[Ich hab’s gern, wenn ein Mädchen nichts weiter trägt als einen Übersetzer im Ohr. Dann scheint das Leben so voller Versprechen.]« Er ging hinaus. Sie hörte, wie er von draußen das Vorhängeschloss vorlegte, dann entfernten sich seine Schritte über den Korridor.
    Die Vorstellung, in dieser Räuberhöhle eingesperrt zu werden, schreckte sie überhaupt nicht. Sie stand sogleich auf und begann, zwanghaft aufzuräumen. Die Unordnung machte sie wahnsinnig.
    Als sie einen kleinen gestohlenen Fernseher mit Flachbildschirm entdeckte, hielt sie mit ihrem Wüten jäh inne. Richtige Fernseher mit funkübermittelten Daten, ohne Keyboard und mit einem jämmerlichen einseitigen Interface, das war schon seltsam. Sie hatte jahrelang kitschige Seltsamkeiten aus den gewaltigen, freakigen Müllhaufen der Fernsehkultur des zwanzigsten Jahrhunderts gesammelt, bis sie entdeckte, dass die CD-ROM- und Softwarenischen noch

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