Heiliges Feuer
an Erniedrigung und einem Minimum an Aufwand und Risiko einhergeht! Touristen zu bestehlen ist optimal.]«
Maya verspeiste das zerkleinerte chinesische Protein und musterte Ulrich von oben bis unten. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das ernst meinst, Ulrich. Ich glaube, du bist besessen davon, Touristen zu beklauen. Und ich glaube, du hortest dieses ganze Zeug, weil du dich von deinen wundervollen illegalen Trophäen nicht trennen kannst.«
Ulrich stocherte mit den Essstäbchen im Karton. Sein zarter milchweißer Jünglingshals überzog sich mit Röte. »[Scharfsinnig geschlossen, Liebling. Sowas Ähnliches hat auch der Motivationsberater in der Schule immer gesagt. Und jetzt sagst du es. Also, worauf willst du hinaus?]«
»Also, es gibt hier ein paar hübsche Sachen, aber nicht das, was ich bräuchte. Darauf will ich hinaus.«
Ulrich verschränkte die Arme. »[Und was brauchst du, kleine Maus?]«
»Bessere Schuhe«, zitierte sie. »Kontaktlinsen. Geldkarten. Perücken. Hautfärbemittel. Minimale Deutschkenntnisse. Einen Stadtplan. Etwas zu essen. Ein Bad. Ein hübsches warmes Bett.«
Ulrich zuckte zusammen. »[Du hast ein gutes Gedächtnis.]«
»Das für den Anfang«, sagte sie. »Außerdem käme mir ein gefälschter Ausweis sehr gelegen.«
»[Den Ausweis kannst du vergessen]«, knurrte er. »[Die Bullen haben das Fälschungsproblem längst gelöst. Leichter wäre es, den Mond zu fälschen.]«
»Aber du könntest diesen wertlosen Plunder verkaufen, und den Rest behalten wir.«
»Vielleicht. Schon möglich«, antwortete er auf englisch. »Aber du hast mir was vorgemacht. Du hättest mich in deine ehrgeizigen Pläne einweihen sollen, bevor wir ein Paar wurden.«
Sie schwieg. Es rührte sie, dass er sie als Paar bezeichnet hatte. Darin zeigte sich eine so reizende jugendliche Hingabe, dass es ihr beinahe Leid tat, ihn auszunutzen, obwohl er es ihr unglaublich leicht machte.
Sie aß methodisch. Ihr verbissenes Schweigen fraß sich in ihn hinein wie eine langsam reagierende Säure.
»[Also, ich wollte es sowieso verkaufen]«, sagte schließlich Ulrich, prahlerisch und nicht wahrheitsgemäß. »[Es gibt da ein paar Möglichkeiten. Gute Möglichkeiten. Aber leicht ist es nicht. Es ist riskant.]«
»Lass mich das Risiko tragen«, erwiderte sie und zerschmetterte ihn mit einem einzigen Schlag. »Weshalb solltest du ein Risiko eingehen? Das ist unter deiner Würde. Ich sehe dich in der Starrolle des geheimen Drahtziehers. Des wahnsinnigen Verbrechergenies. Hast du mal den alten Spielfilm ›Dr. Mabuse, der Spieler‹ gesehen?«
»[Was redest du denn da?]«
»Es ist ganz einfach, Ulrich. Ich mag das Risiko. Ich liebe das Risiko. Risiko ist mein Leben.«
»[Das ist wunderbar]«, sagte Ulrich. Er wirkte sehr niedergeschlagen.
Sie verbrachte zwei Tage in Munchen und fuhr mit ihrem gestohlenen U-Bahnticket umher; am besten gefiel ihr der Viktualienmarkt. Auf diesem alten Marktplatz waren in vorindustrieller Zeit einmal Lebensmittel, ›Viktualien‹, feilgeboten worden, jetzt aber war er ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche und Touristen, wo viele Bargeschäfte abgeschlossen wurden. Es wurden auch noch immer ein paar Lebensmittel verkauft, unter anderem die allgegenwärtigen Munchener ›Weißwürste‹, vor allem aber Touristentinneff und Straßenkleidung.
Die Straßenkleidung hatte es ihr angetan. Außerdem brauchte sie unbedingt richtige Kosmetika. Bislang hatte sie sich mit dem halb eingetrockneten Zeug aus Ulrichs gestohlenen Handtaschen beholfen - in einer war sogar eine hässliche Perücke gewesen -, doch sie wollte ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen, mit den richtigen Farben, greller, bunter, fremdartiger. Auf dem Viktualienmarkt gab es Verkaufsbuden mit mysteriösen deutschen Kosmetika. Kosmetika gegen Bares. Lippenstift - mit lichtreflektierenden Farbpigmenten, Sehr modisch. Äußerst frivol! Radikales Lifting und Intensivpeeling. Der Kampf mit dem Spiegel. Äußerst feminin! Schönheitscocktail, die beruhigende Feuchtigkeitscreme. Revitalisierend! Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen! Die Eleganz der neuen Diva!
Für den Körper: Eau essentielle, le parfum. Das Parfüm duftete betörend. Zufällig ergatterte Maya eine Gratisprobe eines klassischen Parfums, das sie aus besonderem Anlass vor sechzig Jahren einmal angelegt hatte. Der Duft versetzte sie in einen solchen Zustand der Verzückung, dass sie die Handtasche fallenließ und beinahe zusammengebrochen wäre.
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