Heiliges Feuer
Hormonrausch. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du gern einen Blick in meine medizinische Akte werfen.]«
»[Verkleiden?]«, fragte der Hund skeptisch. »[Das war schon alles? Das klingt ziemlich unschuldig.]«
»[Aquinas, hör mir mal zu. Christian und ich sind beide vom Fach. Du hast ja keine Ahnung, wozu Profis fähig sind, wenn sie sich aufs Verkleiden verlegen.]«
Das Publikum lachte, offenbar auf Aufforderung.
»[Wann war das?]«, fragte der Hund.
»[Na ja]«, antwortete die Schauspielerin, »[vor etwa achtzehn Monaten - ich will nicht sagen, dass wir die Sache leid waren, aber wir waren sicherlich ruhiger geworden. Dann erfuhr Christian bei einer Routineuntersuchung, dass er Zysten in der Blase hatte. Das kam von den Hormonen. Christian beschloss, die Behandlung abzubrechen. Ich tat natürlich das gleiche. Und in dem Moment verlor unsere Beziehung an Schwung. Wir wurden ... irgendwie verlegen im Umgang miteinander. Wir lebten und schliefen nicht mehr zusammen.]«
»[Das ist bedauerlich]«, bemerkte der Hund wenig einfallsreich.
»[Mit dreißig mag man das so sehen.]« Die Schauspielerin zuckte die Achseln. »[Aber wenn man erst einmal sechzig ist, dann findet man sich mit den Tatsachen des Lebens ab.]« Dünner Applaus.
Die Schauspielerin straffte sich erregt. »[Ich verstehe mich noch immer gut mit ihm! Wirklich! Ich würde jederzeit wieder mit Christian Mancuso zusammenarbeiten. Bei welchem Projekt auch immer. Er ist ein guter Schauspieler! Ein wahrer Profi! Wegen unserer erotischen Affäre habe ich keinerlei Schuldgefühle. Sie hat uns beiden geholfen. In künstlerischer Hinsicht.]«
»[Würden Sie es wieder tun?]«
»[Also ... ja! Vielleicht ... Wahrscheinlich nicht. Nein, Aquinas. Ich will ganz offen sein. Nein, ich würde es nicht wieder tun.]«
Die Tür öffnete sich knarrend. Ulrich trat ein und rief etwas auf deutsch. Der Übersetzer zeigte sich überfordert. Das kleine Gerät vermochte sich nicht zu entscheiden, ob es Mayas Aufmerksamkeit auf Ulrich oder das Fernsehgeplapper lenken sollte, und verstummte daher.
Maya schaltete den Fernseher aus. Der Übersetzer schaltete sich mit dem sprichwörtlichen leisen Knacken wieder ein.
»[Ich hoffe, du magst chinesisches Essen]«, sagte Ulrich.
»Ich liebe die chinesische Küche.«
»[Das habe ich mir gedacht. Kleingehackte Bröckchen, die nach nichts aussehen. Genau das Richtige für eine Kalifornierin.]« Er reichte ihr einen Karton und Essstäbchen.
Sie setzten sich auf den kalten Boden und aßen. Ulrich blickte sich im Zimmer um. »[Du hast einiges umgestellt.]«
»Ich hab aufgeräumt.«
»[Du bist ein richtiger Schatz]«, meinte Ulrich, hingebungsvoll kauend.
»Wozu verwahrst du den ganzen Krempel? Du hättest das Zeug längst verkaufen sollen.«
»[So einfach ist das nicht. Man kann die Batterien verkaufen. Für Batterien ist auf dem Schwarzmarkt immer Bedarf. Alles andere ist zu gefährlich. Besser, man wartet ab, bis sich die Lage wieder beruhigt hat.]«
»Offenbar wartest du schon eine ganze Weile. Das Zeug ist völlig verstaubt, außerdem leben Mäuse darin.«
Ulrich zuckte die Achseln. »[Wir haben uns überlegt, eine Katze anzuschaffen, aber wir kommen hier nicht häufig her.]«
»Weshalb stiehlst du überhaupt, wenn du nicht vorhast, deine Beute zu verkaufen?«
»[Oh, wir verkaufen sie!]«, beharrte er. »[Klar verkaufen wir sie! Ein kleiner Zusatzverdienst ist nie verkehrt.]« Er wedelte mit den Essstäbchen herum. »[Aber das ist nicht unser Hauptbeweggrund, verstehst du. Wir leisten einfach unseren Beitrag dazu, die gerontokratische Bourgeoisie zu ärgern.]«
»Klar«, meinte sie skeptisch.
»[Geld ist nicht alles im Leben. Gerade eben hatten wir Sex]«, erklärte Ulrich triumphierend. »[Weshalb redest du über Geld?]«
»Ich weiß nicht, mir war eben danach.«
»[Vielleicht hast du wirklich einen Grund, über Geld zu reden. Du bist eine Illegale. Ich aber bin europäischer Staatsbürger! Man gibt mir zu essen, man gibt mir Obdach und Erziehung, man unterhält mich sogar, und das alles kostenlos! Sollte ich mich freiwillig stellen, würde man sogar nützliche Beschäftigungen wie Unkraut jäten und den Wald aufräumen und anderen gesunden, öden Blödsinn für mich finden. Ich brauche nicht zu stehlen, um zu überleben. Ich bin ein Dieb, weil ich anders denke.]«
»Warum leistest du dann nicht unmittelbarer Widerstand, wenn du schon so wunderbar radikal bist?«
»[Ich rebelliere auf die Art, die mit einem Maximum
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