Heiliges Feuer
Mit Silbermünzen. Die Zigeuner sind Silberschmiede. Will man ernsthaft mit ihnen ins Geschäft kommen, muss man ihnen Silbermünzen anbieten. Dass sie Münzen verwenden, stürzt die Finanzbeamten in tiefe Verwirrung.]«
»Ein Schwarzmarkt, der auf altem Metallgeld basiert«, meinte Maya. »Das ist klasse.« Sie horchte dem Klang des Wortes nach. »Klasse. Super.«
»[Ja, wir werden unser lästiges Diebesgut heute gegen Silbermünzen eintauschen. Münzen lassen sich leichter verstecken, lagern und transportieren.]«
»Bekommen wir echte Silbermünzen? Ich meine, historische europäische Währung?«
»Mal abwarten. Sollte irgendein Zigeuner versuchen, uns die Taschen zu leeren oder den Kopf einzuschlagen, dann sind die Münzen wahrscheinlich echt. Ansonsten handelt es sich um wertlose Fälschungen aus Blei.«
»Du zeichnest ein ziemlich negatives Bild von den Roma.«
»[Negativ? Wieso denn negativ?]« Ulrich zuckte die Achseln. »[Sie haben nie einen Krieg erklärt. Sie haben nie ein Pogrom veranstaltet. Sie haben nie andere Menschen versklavt. Sie haben weder Götter noch Könige, noch eine Regierung. Sie sind ihre eigenen Herren. Daher verachten sie uns und rauben uns aus und verhöhnen unsere Gesetze. Sie sind ein fremdes Volk und stehen wahrhaft außerhalb der Gesellschaft. Ich bin ein Dieb, und du bist eine Illegale, aber im Vergleich mit ihnen sind wir verdorbene Kinder der Politas, bloße Amateure.]« Er seufzte. »[Ich mag die Roma und bewundere sie sogar, aber für sie bin ich bloß irgendein verrückter Gajo.]«
Die Zigeuner verkauften Papierblumen, Wäscheklammern, Teppichklopfer, Besen, Matten aus Kokosfaser, Steppdecken, Gebrauchtkleidung, Gebrauchtreifen, Autositze. Auf einigen Tischen waren Glücksbringer, Parfums auf pflanzlicher Basis und seltsame Tinkturen ausgebreitet. Die Zigeuner hingen offenbar sehr an ihren alten Autos und Lastern; die geräumigen bunten Wohnwagen waren mit Plaketten gespickt. Es wurden sogar ein paar Schafe ausgestellt, säuberlich geschoren und gestriegelt wie Museumsstücke, auch einige Pferde mit Glöckchen am Zaumzeug, die aussahen, als würden sie sogar noch zu Arbeiten herangezogen.
Überall wurde eifrig gefeilscht, einhergehend mit viel Gefuchtel und Bartgestreichel, doch nur wenige Waren wechselten tatsächlich den Besitzer. Die hinter den Tischen postierten Frauen machten zudem nicht den Eindruck, sie nähmen den Kleinhandel ernst. »Ulrich, das ist wirklich interessant. Aber das ist nicht die eigentliche wirtschaftliche Aktivität.«
»[Was erwartest du denn? Das sind keine effizienten, fleißigen Zigeuner. Zigeuner, die effizient und fleißig werden, bleiben keine Zigeuner.]«
»Ich finde es unglaublich, dass sie sich keiner lebensverlängernden Behandlung unterziehen. Sie lassen sich noch nicht einmal untersuchen, hab ich Recht? Warum nicht? Weshalb ziehen sie es vor, auf diese Weise zu leben und zu sterben? Was treibt sie an?«
»[Du bist sehr neugierig, Schatz.]« Ulrich verschränkte die fellumhüllten Arme vor der Brust. »[Also gut, ich erklär’s dir. Vor fünfzig Jahren gab es in ganz Europa Zigeunerpogrome. Die Leute glaubten, die schmutzigen Zigeuner verbreiteten die Pest. Es hieß, die Zigeuner verstießen gegen die Quarantänebestimmungen. Daher griffen die Leute, stinknormale zivilisierte Europäer, zu Beilen, Schaufeln, Ketten und Eisenstäben, rannten in die Romaghettos und Romalager, verprügelten die Romas, quälten und vergewaltigten sie und steckten ihre Unterkünfte in Brand.]«
Maya war wie vor den Kopf geschlagen. »Ja, das war eine schreckliche Zeit. Damals gab es alle möglichen Verirrungen…«
»[Das waren keine Verirrungen!]«, erklärte Ulrich triumphierend. »[Der Rassismus ist tief verwurzelt. Andere Menschen zu verachten und ihnen den Tod zu wünschen - das ist integraler Bestandteil der menschlichen Psyche. Das muss man niemandem erst beibringen. Die Menschen warten bloß auf eine Gelegenheit, es auszuleben.]«
Er zuckte die Achseln. »[Willst du die Wahrheit über die Zigeuner hören? Das hier ist Europa, und wir nähern uns dem Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Die Leute, die heute an der Macht sind, haben auch schon vor sechzig Jahren gelebt, in der Zeit der Seuchen und der Zigeunerpogrome. Heute bringen sie keine Zigeuner mehr um. Nein, wenn sie die Zigeuner heute überhaupt zur Kenntnis nehmen, verhalten sie sich wie oberflächliche Romantiker und affektierte Snobs, die ein feudales Relikt hegen und pflegen.
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