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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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bedeckten den Großteil des europäischen Ackerbodens.
    Den Nachmittag verbrachten sie im Prager Stadtzentrum. In Mala Strana. In der Altstadt, Stare Mesto. Kopfsteinpflaster. Kirchen. Türme, alter Backstein und abgewetzte Steine. Vergoldete Spitztürme, Brücken, feucht glänzende Skulpturen. Die Moldau. Jahrhundertealte Architektur.
    Klaudia shoppte wie wild und mästete Maya systematisch mit dem Fast Food der Imbissbuden. Der schmackhafte, nahrhafte Brei hatte auf Maya die Wirkung einer Droge, und die Welt sah auf einmal rosiger aus. Alles war schön und sinnerfüllt.
    Sie nahmen die Kameras zur Karel-Brücke mit. Dies war nicht der Höhepunkt der Touristensaison, aber Prag war stets in Mode. Prag war eine Kunststadt, eine Modestadt. Die Menschen kamen hierher, um sich zu zeigen.
    Die meisten Touristen waren natürlich alte Leute. Es gab überhaupt viele alte Leute. Und nirgendwo sonst kleideten sich die Frauen bis ins hohe Alter mit solchem Chic. Die Brücke wimmelte von älteren Frauen, von Europas weiblichen Gerontokraten, von gelassenen, heiteren, erfahrenen, besonnenen und allein stehenden Damen. Von energischen, aber sanftmütigen femmes du monde, die menschlichen Schwächen gerade deshalb so große Nachsicht entgegenbrachten, weil ihnen selbst so wenige geblieben waren. Von eleganten Frauen, die sich aufs Zuhören verstanden und ihre Feinde liebten, bis diese zerbröselten. Von schönen, klugen, kultivierten Frauen, die von der Elektrizität ihrer entschlossenen und ausgiebig getesteten Egos ganz sachte vibrierten.
    Alte Frauen in Skijacken und weitmaschigen nattierblauen Pullovern. Alte Frauen in schicken, hoch geschlossenen Geschäftsanzügen in pinkfarbenem Apricot, Uniformblau, Eukalyptus. Frauen in modisch gepolsterten Winterpyjamas in Blassgelb und Zwielichtblau. Strenge, elegante Frisuren ohne jede Spur von Grau, kurz geschnitten und mit Seitenscheitel, dazu Schultertücher, über eine Schulter geworfen und mit Muschelbroschen säuberlich befestigt. Chorhemden und Fransenrevers, Musselin, Ripsseide, Chiffons aus Polycarbonat, Marquisette, Matelasse, prachtvoller Krepp und zurückhaltender Lame. Futteralkleider über den schlanken, flachen Linien unauffälliger medizinischer Korsetts. Ein schlankes, postsexuelles Profil mit einer Taille, die in der Mitte des Oberschenkels anzusetzen schien und in schicke Volants und elegante kleine Knoten aus Astrachan und Breitschwanz auslief. Ein wundervolles Gewimmel posthumaner Frauen.
    Die alten Männer in der Menge kleideten sich mit säulenhafter abweisender Würde in gegürtelte Mäntel, dunkle medizinische Westen und maßgeschneiderte Jacketts, als wären sie aus der Phase intimen zwischenmenschlichen Kontakts hinausgewachsen. Die alten Männer wirkten distinguiert, unwirklich und äußerst distanziert, eine Rasse gelehrter Eiskönige, die in ihren wunderschönen glänzenden Schuhen so gemessen einherschritten, als würden sie für jeden einzelnen Schritt bezahlt.
    Und dann waren da die lebendigen Menschen. Sie waren natürlich in der Minderheit, doch in Prag gab es mehr von ihnen als anderswo, und das machte sie kühn und auffallend.
    Junge Männer. Scharen von kühnen, auffallenden jungen Männern, der Männerüberschuss, mit dem jede Generation sich brüstete, bevor ihre erhöhte Sterblichkeitsrate zum Tragen kam. Hüften schwingende junge Kerle mit der glatten, faltenlosen Haut von Engeln, denn Akne war ebenso ausgestorben wie die Pocken. Sie bevorzugten glänzende Jacken, eigenartige schwere Stiefel und gemusterte Halstücher. Diese Generation junger Männer war von Geburt an mit biochemischem Manna gefüttert worden, sie hatte makellose Zähne, scharfe Augen und bewegte sich mit tänzerischer Anmut. Die wahren Dandies unter ihnen trugen dekorative Ohrübersetzer und verschmähten auch nicht einen Hauch von Rouge, um die Wangenknochen zu betonen.
    Lebendige Frauen. Gemusterte Kleider mit schwarzen Ärmeln, grell gemusterte Schals, wirbelnde Capes aus Webpelz, Galoschen aus Geschützlegierung mit geschwungenen kleinen Knöchelkrägen. Kokette kurze Jäckchen, jede Menge roter Lack. Rucksäcke mit kleinen Glöckchen, klirrende Spangen und dick aufgetragener Lippenstift. Prag hatte eine Vorliebe für karierte Winterhandschuhe, die an den Fingerspitzen abgeschnitten waren, sodass die dolchartigen lackierten Fingernägel herausschauten. Breite, eng geschnallte Gürtel, welche die Hüften betonten. Und Decolletes, hormonpralle halb enthüllte Busen, trotz des

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