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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Winters. Große, kissenartige, lebendige Brustansätze, die jenseits allen modischen Anspruchs zum politischen Statement wurden.
    Die jungen Frauen ließen sich bereitwillig fotografieren. Sie lachten Maya an und posierten vor der Kamera. Viele Leute in Prag, selbst die Kinder, trugen Cyberbrillen, jedoch keiner mehr eine Sehbrille. Korrekturlinsen als Sehprothese waren ebenso ausgestorben wie das Holzbein.
    Prag vermittelte Maya neue Einsichten.
    Auf einmal begriff sie die tiefe Verbundenheit zwischen den alten europäischen Stadtzentren und den jungen Europäern. Die realen und ernsthaften Geschäfte wurden in den riesigen, hochtechnisierten, intelligenten Hochhaussiedlungen rings um die Stadtzentren getätigt - in Gebäuden mit hoch entwickelter Infrastruktur, in denen die Technik des späten einundzwanzigsten Jahrhunderts in Diamantgerippe und optisch leitende Glasfasern eingebettet war.
    Gleichwohl brachten es die Machthaber nicht über sich, ihr kulturelles Erbe zu zerstören. Ohne ihre kulturellen Wurzeln wäre ihnen nicht einmal mehr die Fiktion einer Alternative geblieben, und sie wären in der schrecklichen Leere des postindustriellen Pragmatismus gefangen gewesen. Sie schätzten die alternden Backsteine und verschimmelten Mauern, und die europäische Jugend wurde aus ganz ähnlichen Gründen hoch geschätzt und gleichzeitig an den Rand gedrängt.
    Junge Menschen lungerten in alten Städten herum. Sie bildeten eine urbane Symbiose mit dem wirtschaftlichen Abseits, das Bindeglied zwischen der unzerstörbaren Vergangenheit und einer Zukunft, die man noch nicht zulassen wollte.
    Maya und Klaudia kleideten sich auf einer Toilette um und ließen das Gepäck in einem öffentlichen Schließfach zurück. Das Tete du Noye lag in der Opatovicka-Straße; ein dreistöckiges Gebäude mit einem schindelgedeckten Steildach. Man gelangte über eine kleine Treppe mit abgewetzten Stufen und schmiedeeisernem Geländer hinein und musste anschließend eine etwas längere Holztreppe zu einem fensterlosen Kellerraum hinuntersteigen, in dem die Bar untergebracht war. Die ganzen Treppen machten architektonisch kaum Sinn, doch das Gebäude war mindestens fünfhundert Jahre alt. Es hatte so viele historische Umbrüche mitgemacht, dass es eine Patina hatte wie ein metamorpher Stein.
    Klaudia und Maya wurden am Fuß der Treppe von einer älteren gefleckten Dogge in einem zerschlissenen Pullover und gestreifter Hose in Empfang genommen, wahrscheinlich das hässlichste intelligente Tier, das Maya jemals gesehen hatte. »Wer hat euch hergebeten?«, fragte der Hund auf englisch und knurrte unverhohlen drohend.
    Maya blickte sich rasch in der Bar um. Der Raum wurde von ein paar flackernden bläulichen Glühbirnen und einem blass schimmernden rechteckigen Wandbildschirm erhellt. Es roch nach Jod und Tang. Vielleicht auch nach Blut. Zwanzig Leute waren anwesend, düstere Gestalten, die sich um niedrige Tische herum auf Sofas fläzten. Viele von ihnen trugen Brillen. Das Licht des Cyberraums sickerte an den Linsenrändern vorbei. Von Eugene war nichts zu sehen.
    »Der Typ dort drüben hat uns eingeladen«, log Maya schlagfertig, zeigte in eine Ecke und winkte. »Hey!«, rief sie. »Na, Mensch! Ciao!«
    Der Fremde schaute natürlich hoch und winkte höflich zurück. Maya zwängte sich am Hund vorbei.
    »[Na, Maya]«, flüsterte Klaudia, Tuchfühlung haltend. »[Wir sind ein bisschen overdressed. Das ist ja ein Leichenkeller.]«
    »Mir gefällt’s«, sagte Maya voller Optimismus und Zuversicht. Sie ging zur Bar.
    Es spielte leise, blecherne Instrumentalmusik. Der Barkeeper war damit beschäftigt, ein winziges Ventil an einem gewaltigen, verästelten Tinkturenset zu reparieren und blickte ratsuchend auf einen Bildschirm. Das Tinkturenset nahm die ganze Breite der Mahagonibar ein, wog etwa vier bis fünf Tonnen und sah aus, als wären die damit hergestellten Getränke in der Lage, ein ganzes Stadtviertel zu zerstören.
    Der Barkeeper trug einen dünnen, geschmeidigen, transparenten Schutzanzug. In dieser Kleidung hatten mutige Sozialdienstler dereinst verseuchte Orte aufgesucht. Unter dem glänzenden, luftdichten Überzug war der Barkeeper nackt. Sein Körper war von Kopf bis Fuß mit dichtem grauem Pelz bedeckt. Aus der Ferne betrachtet wirkte seine Körperbehaarung wie ein graues Wolltrikot.
    Beunruhigenderweise nahm der Barkeeper nun endlich Notiz von ihnen. Er klappte das Notebook lautstark zu und kam herbeigeschlurft. Er war entweder sehr

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