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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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alt oder sehr krank und bewegte sich, als habe er Fußschmerzen.
    Sein Gesicht war vollständig von grauem Bart überwuchert - weder die Augenbrauen noch Nase, Stirn, Ohren oder Schläfen waren zu sehen. Die unbehaarten Lippen und Augenlider waren drei bleiche Flecken inmitten des ausladenden, alles erstickenden Schnäuzers.
    »Ihr seid neu hier«, bemerkte der Barkeeper mittels eines Außenlautsprechers.
    »Das stimmt. Ich bin Maya, das ist Klaudia. Wir machen Mode.«
    Der Barkeeper musterte sie im relativ hellen Licht der unmittelbar über der Mahagonibar angebrachten Lampen. Auf dem Scheitel hatte er einen kleinen, schorfigen kahlen Fleck. »Ich mag junge Mädels in hübschen Klamotten«, meinte er schließlich augenzwinkernd. »Wenn der Hund Ärger macht, sagt ihm, er soll sich an den alten Klaus wenden.«
    Maya schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Vielen Dank. Es ist sehr freundlich von dir, uns in dein berühmtes Lokal einzulassen. Wir machen auch bestimmt keinen Ärger. Dürfen wir fotografieren?«
    »Nein. Was wollt ihr trinken?«
    »Koffein«, sagte Klaudia tapfer.
    Nach einer Weile knallte Klaus zwei Mokkatassen auf die Bar. »Wollt ihr tierische Sahne?«
    »Nein, danke«, entgegnete Klaudia mit kaum verhohlenem Abscheu.
    »Dann kostet’s nichts«, meinte Klaus und nahm seine Reparaturarbeit wieder auf.
    Maya und Klaudia nahmen die Tassen und Unterteller zu einem Couchtisch mit und setzten sich nebeneinander aufs Sofa. Klaudia legte den gerippten Umhang ab und schauderte in ihrem pinkfarbenen zerknitterten Top.
    »[Hier bin ich offenbar auf der falschen Party]«, stöhnte sie verhalten. »[Ich dachte, hier gibt es Tanz und Musik und öffentlichen Sex und vielleicht ein paar Anandamine. Diese Bar ist ja eine Gruft. Was spielt da eigentlich für eine fürchterliche Musik?]«
    »Das ist alte akustische Analogmusik. Damals hatte der Sound wenig vertikale Farbe. Die Instrumente wurden aus Holz und Tierorganen gefertigt.«
    Klaudia nippte nervös am Mokka. »[Weißt du, wo das Problem liegt, Maya? Das hier ist eine Party für Intellektuelle.
    Wenn man jung ist, ist es dämlich, intellektuell zu sein. Intellektuell sollte man sein, wenn man hundert ist und nichts mehr empfindet. Intellektuelle sind ja so eingebildet! Sie verstehen nicht zu leben!]«
    »Klaudia, entspann dich, okay? Es ist noch früh am Abend.«
    Der Wandschmuck war das Wärmste und Einladendste am Tete du Noye. Er wirkte weder glas- noch bildschirmartig, sondern eher wie Leinwandmalerei. Der Bildschirm war in Hunderte von Fragmenten aufgeteilt, in ein Wabenmuster einzelner Zellen, die langsam durcheinander wogten. Die Zellen schwammen umeinander, pulsierten, rotierten und veränderten sich. Ein digitaler Blumentanz.
    Maya hob die Mokkatasse, führte sie vorschriftsmäßig an die Unterlippe und setzte sie wieder ab. Sie beobachtete eine Weile, wie Klaudia nervös auf dem Sofa herumrutschte, dann blickte sie wieder den Wandschirm an. Das bernsteinfarbene Blumenmuster war fast vollständig verschwunden und hatte einer wachsenden Anzahl kalter, geometrischer Kristalle Platz gemacht.
    Sie wusste nicht genau, wie sie darauf kam, hatte aber irgendwie das Gefühl, die Wand beobachte sie. Vielleicht waren Kameras hinter dem Bildschirm versteckt. Sah man das Wandbild unmittelbar an, verlangsamte sich die Bewegung drastisch. Es geriet erst dann in Bewegung, wenn niemand hinsah.
    Maya öffnete den Rucksack und betrachtete die Wand verstohlen im Make-up-Spiegel. Die Wand wähnte sich offenbar unbeobachtet. Die kleinen Zellen wurden quicklebendig, wechselten Informationsfunken aus, paarten sich, wirbelten umher, veränderten sich ständig. Maya klappte das Etui zu und wandte das Gesicht abermals dem Bildschirm zu. Sogleich erstarrten die Zellen schuldbewusst und krochen nur mehr brav umher.
    Eugene kam hereingeschlendert. »Ciao, Maya!«
    »Ciao, Eugene.« Sie war froh, ihn zu sehen. Eugene hatte gebadet. Er hatte sich gekämmt. Er sah sehr elegant aus in dem langen Brokatmantel und den Röhrenhosen.
    Eugene lächelte einnehmend. »Was ist los, Camilla?«
    »Klaudia«, sagte Klaudia stirnrunzelnd und zog die Beine aufs Sofa.
    Eugene setzte sich. »Ihr hättet euch an der Bar einloggen sollen! Das ist hier im Tete so üblich. Ich wusste nicht mal, dass ihr schon da seid.«
    »Es gibt immer ein erstes Mal, Eugene.«
    »Die meisten Leute loggen sich schon zu Hause ein und kündigen an, dass sie kommen. Die Szene ist voll vernetzt. Das Tete ist unser

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