Heiliges Feuer
Problem.
Wie ein Kollege! Wie ein Philosoph! Dann taucht dieses Glamourgirl mit den geschminkten Lippen und der Perücke auf, und man könnte meinen, seine kleine Muse sei eben aus dem Zug gesprungen. Frauen werden niemals klug! Männer denken über Schönheit nach, wir aber müssen schön sein. Daher verkörpert immer die andere das Weibliche, und wir stehen niemals im Mittelpunkt.«
Maya blinzelte. »Männer und Frauen denken einfach unterschiedlich, das ist alles.«
»Ach, das ist doch dumm! ›Anatomie ist Schicksal.‹ Das alles gilt jetzt nicht mehr, verstehst du? Anatomie ist jetzt ein Geschäft! Du möchtest ein paar komplizierte männliche Gleichungen lösen, kleines Glamourgirl? Dann ramm dir ein paar Stecker in den Kopf, und in einer Woche bringe ich dir das Rechnen bei!«
»Dabei können Blutgefäße platzen.«
»Hab dich doch nicht so, Schätzchen. Ich wette, was du mit deinen Brüsten angestellt hast, war tausendmal radikaler als Mathematik. Warte mal - ich hab’s gleich.«
Benedettas eierschalenfarbener Furoshiki färbte sich schiefergrau. »Das ist gut. Gleich habe ich eine öffentliche Netsite gefunden ... So, das wär’s.«
Bouboule gesellte sich zu ihnen. Bouboule hatte einen lackierten, klassisch geformten Mund, kein Kinn und große, leuchtende braune Augen. Sie trug einen bowlerartigen Hut mit schmaler Krempe, eine schicke Brille an einer Halskette, einen Strickpullover, ein langes Halstuch und einen großen gelben Rucksack.
»Ciao, Benedetta.«
»Bouboule ist aus Stuttgart«, sagte Benedetta. »Wie heißt du noch gleich?«
»Maya.«
»Maya wird uns ein Geheimnis zeigen, Bouboule.«
»Ich liebe Geheimnisse«, sagte Bouboule und nahm kichernd Platz. »Wie reizend von dir, Maya, deine Geheimnisse mit Nobodys wie uns zu teilen. Hast du was dagegen, wenn mein Affe zusieht?«
Ein goldfarbener Krallenaffe kletterte Bouboules kräftigen Rücken hoch und setzte sich auf ihre Schulter. Der Affe trug Abendkleidung, Schlips und Smoking. Seine Augen waren zwei funkelnde metallische Knöpfe. Eine implantierte Spiegelbrille.
»Spricht dein Affe?«, fragte Maya. Der Affe trug keine Schuhe. Die pelzigen Pfoten, die aus den Hosenbeinen herausschauten, wirkten eigentümlich abstoßend.
»Mein Affe ist ein Virtualist«, meinte Bouboule leichthin. »Maya, wo hast du deine Brille?«
»Ich habe keine Brille. Und auch keine Handschuhe.«
»Quel dommage!«, sagte Bouboule hocherfreut. »Meine Onkel stellen hier in Stuttgart Brillen her. Ich habe vier Onkel. Alles Brüder meiner Mutter. Weißt du, wie selten heutzutage vier Brüder sind? Fünf Kinder! Sowas kommt kaum noch vor! Aber mir passieren immer unwahrscheinliche Sachen.« Bouboule öffnete den Rucksack und reichte Maya eine in Plastik verpackte Brille mit Metallfassung.
»Flüssigkeitsfilm?«, bemerkte Maya, als sie die Linsen begutachtete.
»Wegwerflinsen«, meinte Bouboule achselzuckend. »Nimm diese Datenhandschuhe - allerdings würde ich nicht gerade behaupten, die seien der letzte Schrei. Sowas trägt man auf Parties, wenn man nicht weiß, wo man am nächsten Morgen aufwacht. Brich dir nicht die Finger, streck sie vorsichtig aus ... so ist’s gut.«
»Das ist nett von dir, dass du sie mir ausborgst«, sagte Maya.
»Ich hab auch was für dich, Maya«, meinte Benedetta impulsiv. Sie langte mit zwei Fingern hinter den Rollkragen ihrer Bluse und zog ein Diamantcollier mit einem an einer dünnen Goldkette befestigten Anhänger hervor. »Hier. Für dich. Du hast eher Verwendung dafür als ich.«
»Eine Diamanthalskette?«
»Guck nicht so überrascht, jeder Idiot kann Diamanten herstellen«, sagte Benedetta. Sie reichte das Collier Maya. »Sieh dir mal den Anhänger an.«
»Eine kleine Nachtigall in einem goldenen Nest! Das ist wirklich hübsch, Benedetta. Aber das kann ich nicht annehmen.«
»Gold ist Dreck. Krieg dich wieder ein und hör zu. Das Vogelnest steckst du dir ins Ohr. Die Diamanten sind Speicher, sie enthalten die europäischen Sprachen. Siehst du die kleinen Zahlen? Der Vogel bebrütet im Moment gerade Englisch, Italienisch und Französisch. Italienisch brauchst du nicht so dringend, also leg Englisch ein, das ist das Ei Nummer eins ... Leg Englisch mitten ins Nest und befestige Italienisch wieder am Halsband. Italienisch ist das Ei Nummer siebzehn.«
»Italienisch kommt an siebzehnter Stelle?«
»Das ist ein Schweizer Gerät. Aus Basel.«
»Was sind die Schweizer doch für humorlose Leute«, meinte Bouboule. »Bloß
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