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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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sie entsprechend der Eigenschaften der Zielperson. Das ist eine wahre Datenfundgrube. Für die Industriespionage.«
    »Illegal?«, fragte Bouboule interessiert.
    »Wahrscheinlich. Wenn er das Gerät selbst entwickelt hat, dann vielleicht nicht.«
    »Weshalb sagst du ›Ptydepe‹ dazu?«, fragte Maya.
    »Ptydepe nennt man hier in Prag die PTPs ... Tschesky ist schon eine eigenartige Sprache.«
    »Tschesky ist nicht das Substantiv«, warf Bouboule ein. »Das ist, wie sagt man noch, das Adverb. Die Sprache wird Czestina genannt.«
    »Czestina ist das Ei Nummer zwölf, Maya.«
    »Danke«, sagte Maya.
    Sie spürte, wie sich kleine Pfoten in ihren Ärmel schoben. Maya schrie auf und riss sich die Brille herunter.
    Der erschreckte Affe brachte sich auf Bouboules Schulter in Sicherheit, wo er seine spitzen Zähne entblößte.
    Bouboule tastete blind in der Luft herum. »Schlechte Taktilität?«
    »Veraltete Protokolle«, meinte Benedetta, die wegen der Brille ebenfalls nicht sah, was um sie herum vorging.
    Maya fixierte stumm die silbrig überwölbten Augäpfel des Affen. »Wenn du mich noch einmal anfasst, schlag ich dich«, formte sie lautlos mit den Lippen. Der Affe strich glättend über das Smokingrevers; sein Greifschwanz zuckte, dann sprang er von der Sofalehne hinunter.
    »Ich habe einen Ausgang gefunden!«, verkündete Benedetta. »Lasst uns aufs Dach gehen!«
    Maya setzte die Brille wieder auf. In der Wand öffneten sich Schiebetüren. Sie traten in die virtuelle Dunkelheit. Weiße Ringe liefen ihnen voraus wie galoppierende Zebrastreifen.
    Sie gelangten auf ein mit Zinnen versehenes Dach. Der Boden war bedeckt mit virtuellem Kies.
    Es gab noch weitere Erinnerungspaläste. Vielleicht Warshaws Geschäftspartner bei kriminellen Machenschaften? Maya verstand nicht, weshalb Leute, die Erinnerungspaläste einrichteten, ihre Räumlichkeiten fremden Blicken preisgaben. War es vielleicht beruhigend zu sehen, dass auch andere Leute etwas zu verbergen hatten? In der virtuellen, horizontbegrenzten Ferne ragte eine chinesische Klippe aus dem Dunst empor, ein digitaler Stalagmit, gefärbt in den subtilen Monochromtönen der Suiboku-Tuschemalerei. In einem eindeutig nichteuklidischen Abstand davon befand sich ein gewaltiges, aufgeblähtes Gebilde, das Ähnlichkeit mit einer Gewitterwolke hatte und schimmerte wie gemaserter schwarzer Marmor, während es gleichzeitig den Eindruck gläserner Luftigkeit oder vielleicht eher luftiger Sprödigkeit vermittelte ... Eine glatte, mit eleganten Lamellen versehene Konstruktion mit pilzartigem Abschluss, unten fädig und an den Seiten mit Säulen und Adern versehen. Ein weiterer Palast wie eine hochkant gestellte Honigwabe, umringt von Hunderten von Motten, die das Bauwerk langsam umflatterten, daran saugten und sich wieder lösten, eine Art Taubenschlag für virtuelle Flugsaurier.
    »Eine eigenartige Metapher«, meinte Boulboule erregt. »Einen so alten, noch immer funktionsfähigen virtuellen Raum habe ich noch nie gesehen.«
    »Ich frage mich, wo wir sind«, sagte Maya. »Ich meine, ich wüsste gern, wo, in aller Welt, das alles läuft.«
    »Das beruht womöglich gar nicht auf realer Rechenleistung«, meinte Benedetta. »Es sieht phantastisch aus, könnte aber auch der Ausfluss eines kleinen Geräts in irgendeinem Kabuff in Macao sein. Man sollte sich vom Augenschein nicht blenden lassen. Durch ein anderes Interface betrachtet sieht das womöglich ganz banal und bourgeois aus.«
    »Sei doch nicht so biestig, Benedetta«, meinte Bouboule aufgeregt. »So leben Gerontokraten nicht! Wer einen solchen Palast bewohnt, würde niemals herkommen, um sich etwas vormachen zu lassen. Das ist die Seelenherberge eines alten Mannes. Ein exklusiver Zufluchtsort! Eine kriminelle Enklave.«
    »Ich frage mich, ob manche dieser seltsamen Orte noch bewohnt sind. Vielleicht sind die Besitzer ja alle tot, und alles läuft automatisch weiter. Spukschlösser in virtuellem Sand.«
    »Sag sowas nicht«, meinte Maya beklommen.
    »Lasst uns fliegen!« Benedetta sprang anmutig von der Brüstung.
    Die Brille verdunkelte sich.
    Benedetta schnappte nach Luft. »Schade! Das hat den Kontakt unterbrochen.«
    Sie nahmen die Brillen ab und blickten einander schweigend an.
    »Wie bist du hierher gekommen?«, fragte schließlich Bouboule.
    »Stell keine Fragen«, sagte Benedetta.
    »Ah.« Bouboule lächelte. »Ich hoffe, der alte Mann hat dir auch Geld hinterlassen?«
    »Falls ja, so habe ich den Schatz nicht gefunden«,

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