Heiliges Feuer
weil Mailand Genf gekauft hat ... Welch ein Groll.«
Maya löste das englische Ei von der Kette. Sie nahm das italienische Ei aus dem goldenen Nest und steckte das englische Ei behutsam unter die leitenden Füße des Vogels. Die winzigen Eier rasteten mit einem angenehmen Klicken ein.
Sie steckte sich den kleinen Anhänger vorsichtig ins rechte Ohr. Der Anhänger wand sich wie ein metallener Ohrwurm. Irgendetwas Dünnes, Wachsartiges kroch in ihre Gehörwindung. Maya hätte das Gerät am liebsten gleich wieder herausgerissen, ließ die kitzelnde Penetration aber schaudernd über sich ergehen.
»[Er hat keine Batterie]«, erklärte Benedetta auf Italienisch. »[Du musst den Vogel ständig am Körper tragen. Wenn er auskühlt, stirbt er.]«
Der neue Übersetzer erzeugte einen wundervollen Flötenton, unmittelbar an ihrem Trommelfell. »Die Sprache ist so wohlklingend! So klar!«
»Und keine Batterie - stell dir mal vor.«
»Keine Batterie. Okay. Aber das kommt mir eher wie ein Versehen vor.«
»Das ist kein Versehen, sondern gewollt«, meinte Bendetta düster. »Der Vogel ist Shareware. Die Schweizer haben sich alle Mühe gegeben.«
Maya legte das Collier an und stopfte es unter die Bluse. Sie freute sich. »Das ist sehr großzügig von dir. Möchtest du meinen Deutschübersetzer haben?«
Bendetta besah ihn sich. »Deutsch-Englisch. Kein Bedarf. Das ist Touristenramsch.« Sie schob ihn wieder Maya hin. »[Jetzt können wir uns endlich wie zivilisierte Menschen unterhalten. Zeig uns deinen Palazzo.]«
»Ich hoffe, es klappt.« Maya vollführte auf der glänzenden Oberfläche des Stoffcomputers die Passgeste. »Sind die Handschuhe angeschlossen?«
»[Da tut sich was]«, bemerkte Benedetta skeptisch.
Bouboule streifte maßgeschneiderte zitronengelbe Datenhandschuhe über und justierte sorgfältig die Brille. »Das ist ja so aufregend. Patapouff und ich, wir lieben Erinnerungspaläste. Nicht wahr, Pouffpouff?«
Maya straffte sich in Erwartung einer Antwort des Affen. Doch der schwieg. Maya entspannte sich wieder. Sprechende Hunde waren okay. Sprechende Affen aber waren unheimlich.
Mayas Brille zeigte ein verschwommenes Testmuster. Sie fuhr mit dem Finger an der rechten Linse entlang, bis das Muster scharf wurde. Sie drückte den Brillensteg, um Tiefe hineinzubringen. Dies waren Gewohnheitsgesten, kleine technische Handlungen, die sie seit Jahrzehnten vollführte.
Mit einem Mal aber war sie ganz aufgeregt. Ihr Sehfehler war verschwunden. Vollständig behoben, und bis jetzt hatte er sich noch jedes Mal bemerkbar gemacht.
»[Das ist ein Büro!]« sagte Benedetta triumphierend. »[Was für ein seltsames, altes Büro! Ich schaue mich mal um, okay?]«
»Ein Männerbüro«, meinte Bouboule gelangweilt.
»[Wo hat der Kerl die Pornos versteckt?]«, fragte Benedetta.
»Was?«, sagte Maya.
»[Hast du seine Pornos etwa noch nicht entdeckt? Es gibt keinen lebendigen Mann, der nicht irgendwo in seinem Erinnerungspalast Pornos versteckt hätte.]«
»Er lebt nicht mehr«, erklärte Maya.
Bouboule machte eine anzügliche Bemerkung und lachte.
»Ein französisches Wortspiel«, säuselte der Vogelübersetzer in seinem wohlklingenden, aber eigentümlich unpersönlichen Englisch. »Der Kontext ist unverständlich.«
»[Ich sehe da gerade den großen Bauplan]«, meinte Benedetta. »[Die Sechziger, wie? Damals haben sie wie die Wahnsinnigen gebaut. Bibliothek. Galerie. Ein Zoo für Kunstgeschöpfe - das klingt gut! Geschäftsakten. Gesundheitsakten. CAD-CAM-Muster-Speicher.] ›Filme‹. Gibt es Filme in dem Palast?«
»Wie übersetzt man das Wort ›Filme‹?«, fragte Bouboule.
»Cinematographique.«
»Prima.«
»[Schneidermaße ... Aufgussrezepte. Baupläne. Ach, das ist ja reizend! Reale Baupläne in einem Palast zu verwahren. Drei oder vier verschiedene Häuser! Der Mann muss ziemlich reich gewesen sein.]«
»Er ist mehrmals in seinem Leben zu Reichtum gekommen«, sagte Maya.
»[Oh, seht euch das mal an! Er hatte einen Ptydepe-Scanner.]«
»Was ist das?«, wollte Maya wissen.
Jetzt, da es um technische Informationen ging, wechselte Benedetta wieder ins Englische. »Das kommt von der Abkürzung PTP kommt - ›Public Telepresence Point‹, öffentliche Telepräsenzsite. Er ist - er war im Besitz eines Scanners, der Telepräsenz-Daten aufzeichnen kann. Eignet sich gut dazu, Freunden nachzuspionieren. Oder Feinden. Das Programm zeichnet über Jahre hinweg Millionen von Telepräsenzsitzungen auf und katalogisiert
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