Heiliges Feuer
zurückgehen.«
»Nein, das ertrage ich nicht. Mein Atelier liegt gleich dort drüben.« Emil zuckte die Achseln. »Paul ist ein netter Kerl, er meint es gut. Auch einige seiner Freunde sind in Ordnung. Aber sie sollten jemanden wie mich nicht bewundern. Mir sind ein paar gute Stücke gelungen, aber ich bin nicht Pauls Studienobjekt für die Befreiung des heiligen Feuers. Ich bin ein verzweifelter Mensch, der sich um des Drecks willen zerstört hat. Das sollten sich Pauls Freunde mal klarmachen. Ich bin ein Riesenidiot. Sie sollten aufhören, posthumane Extreme zu verklären.«
»Du kannst jetzt nicht nach Hause gehen und vor dich hinbrüten, Emil. Du hast gesagt, du wolltest mir die Stadt zeigen.«
»Hab ich das?«, fragte Emil höflich. »Das tut mir wirklich Leid, meine Liebe. Weißt du, wenn ich morgens etwas zusage, dann halte ich mein Versprechen meistens auch ein. Jetzt aber ist es spät abends ... ich glaube, das hat etwas mit meinem Biorhythmus zu tun. Ich werde vergesslich.«
»Also, dann zeig mir wenigstens dein Atelier. Wo wir schon mal hier sind.«
Emil sah ihr tief in die Augen. Ein sehr wissender Blick. »Du bist in meinem Atelier willkommen«, sagte er, obwohl er etwas ganz anderes meinte. »Wenn du es unbedingt sehen möchtest.«
Das Haus war dunkel und unglaublich alt. Emils Atelier lag in der zweiten Etage, zu der eine knarrende Treppe hochführte. Der Holzboden war uneben, und die Wände waren mit alten Blümchentapeten bedeckt.
Der größte Teil des Bodens wurde von hohen Holzregalen voller Töpferware eingenommen. Zwei dreckverschmierte Waschbecken, ein Wasserhahn tropfte. Ein weißer Brennofen und fleckige Werkzeugtafeln mit Draht- und Holzgerätschaften. Eine Töpferscheibe, eine unaufgeräumte Werkbank. Verstaubte Säcke mit Glasurmasse. Eine primitive Küche voller selbstgemachter Töpferware in weißen Schränken, die Türen voller schmieriger Fingerabdrücke. Alte Fenster, zugestellt mit feuchten, hübschen Blumentöpfen, darin die verdorrten Überreste verschiedener Pflanzen. Schwämme. Handschuhe. Der durchdringende Geruch von Ton. Keine Dusche, keine Toilette; das Bad lag auf dem Gang. Ein wackliges Holzbett mit schmutzigen Laken.
»Wenigstens gibt es bei dir Strom. Hast du keinen Computer? Keine Netzverbindung? Keine Bildschirme?«
»Ich hatte mal ein Notebook«, sagte Emil. »Ein tolles Gerät. Da hab ich meine Termine drin gespeichert, Adressen, Telefonnummern, Verabredungen. Allerlei Hinweise. Eines Morgens wachte ich mit schlimmen Kopfschmerzen auf. Das Notebook wollte mir vorschreiben, was ich tagsüber zu erledigen hätte. Da öffnete ich das Fenster« - er zeigte darauf - »und warf das Gerät auf die Straße. Jetzt ist mein Leben einfacher.«
»Emil, weshalb bist du so traurig? Die Sachen hier sind wunderschön. Du hast einen medizinisch unwiderruflichen Schritt getan. Na und? Viele Leute haben Pech mit ihren Upgrades. Ist es erst einmal geschehen, hat es keinen Sinn, sich darüber aufzuregen. Du musst dich damit abfinden.«
»Du musst es ja wissen«, knurrte Emil. »Sieh dir das mal an.« Er reichte ihr eine gedrungene, rundliche Urne, glasiert in den Farben Ocker, Cremeweiß und Schwarz. Das Muster wirkte unglaublich energiegeladen, etwa wie ein vom Blitz getroffenes Schachbrettmuster, gleichwohl aber strahlte es eine enorme Klarheit und Ruhe aus. Die Urne war dicht und schwer und glatt, wie ein fossiliertes Ei, das einem zeitlosen Geisteszustand als Hülle dient.
»Meine neueste Arbeit«, sagte er verbittert.
»Aber Emil, das Stück ist wundervoll. Es ist so schön, dass ich wünschte, darin bestattet zu werden.«
Er nahm ihr die Urne wieder ab und stellte sie ins Regal. »Und jetzt sieh dir das mal an. In dem Katalog sind alle meine Arbeiten seit der Veränderung aufgeführt.« Er seufzte. »Ich wünschte, ich würde die Kraft aufbringen, dieses blöde Ding zu verbrennen.«
Maya setzte sich auf Emils Arbeitshocker und blätterte in dem Katalog. Darin waren Emils Töpferwaren abgebildet, liebevoll ausgeleuchtet und dokumentiert. »Wer hat die Fotos gemacht?«
»Irgendeine Frau. Zwei oder drei verschiedene Frauen, glaube ich ... Die Namen habe ich vergessen. Sieh dir mal Seite vierundsiebzig an.«
»Oh, ich verstehe. Das Stück ähnelt deiner letzten Arbeit. Gehört das zu einer Serie?«
»Es ähnelt ihr nicht nur, es ist identisch. Dabei habe ich das Stück spontan gemacht. Ich hatte eine Inspiration. Begreifst du, was das bedeutet? Ich fange an, mich zu
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