Heiliges Feuer
wiederholen. Ich habe mich erschöpft. Ich bin an meine schöpferische Grenze gelangt. Meine so genannte schöpferische Freiheit ist nichts weiter als ein billiger Schwindel.«
»Du hast das gleiche Stück zweimal hergestellt?«
»Genau! So ist es! Kannst du dir mein Entsetzen vorstellen? Als ich das Foto sah - das war, als hätte mir jemand ein Messer ins Herz gestoßen.« Er ließ sich aufs Bett sinken und barg den Kopf in Händen.
»Ich verstehe, dass dir das Sorge bereitet.«
Emil zuckte zusammen und schwieg.
»Weißt du, viele Keramiker arbeiten mit Abgüssen. Sie stellen von einem Stück Hunderte identischer Kopien her. Was ist schon dabei?«
Emil öffnete die Augen. Er wirkte verletzt und verbittert. »Du hast mit Paul über mich gesprochen!«
»Nein, hab ich nicht! Aber ... Weißt du, ich fotografiere. So etwas wie ein digitales Originalfoto gibt es nicht. Die digitale Fotografie war schon immer eine Kunst ohne Originale.«
»Ich bin keine Kamera. Ich bin ein Mensch.«
»Dann denkst du halt in falschen Bahnen, Emil. Anstatt dich zu quälen, solltest du dich vielleicht mit der Tatsache abfinden, dass du posthuman bist, dann ginge es dir bestimmt besser. Ich meine, die Menschen verändern sich halt heutzutage, hab ich Recht? Damit muss sich jeder früher oder später abfinden.«
»Tu mir das nicht an«, stöhnte Emil. »Sag das nicht. Wenn du solches Zeug schwätzen willst, geh zurück zur Party. Du verschwendest hier mit mir deine Zeit. Red mit Paul, mit dem kannst du ewig labern.«
Emil kickte einen zerknautschten Bademantel von der Bettkante. »Ich bin nicht posthuman. Ich bin bloß ein dämlicher, beschädigter Mensch, der kein Talent hatte und einen schweren Fehler begangen hat. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber ich weiß genau, wer ich bin. All diese klugscheißerischen Theorien lassen mich kalt.«
»Wirklich? Mir scheint, du hast dich bereits entschieden. Wie gedenkst du aus dieser so genannten Krise herauszukommen?«
»Was habe ich schon für Möglichkeiten?«, sagte Emil. »Was soll ich denn tun? Ich kann nicht mein ganzes Leben lang im Kreis herumrennen. Ich werde aus dem Fenster springen.«
»Du meine Güte.«
»Die Einnahme des Amnetikums war ein fauler Kompromiss. Bloß ein halber Schritt. Ich bin nicht der, der ich werden wollte. Ich werde niemals diese Person sein. Und mit weniger kann ich nicht leben.«
»Also«, sagte Maya, »ich bin bestimmt nicht grundsätzlich gegen den Freitod. Der Freitod ist in Ordnung, er stellt eine ehrenhafte Option dar ... Aber…«
Emil schlug die Hände über die Ohren.
Maya setzte sich neben ihm aufs Bett und seufzte. »Emil. Es ist dumm, sterben zu wollen. Du hast so schöne Hände.«
Er schwieg.
»Es wäre doch schade, wenn sich diese schönen, starken Hände in Staub verwandeln würden. Tief in der kalten, harten Erde. Wo du sie mir stattdessen doch unter den Rock schieben kannst.«
Emil richtete sich auf. Seine Augen funkelten. »Warum tun Frauen mir das an?«, fragte er schließlich. »Siehst du denn nicht, dass ich ein emotionales Wrack bin? Ich kann dir nichts geben. Morgen früh erinnere ich mich nicht einmal mehr an deinen Namen!«
»Das weiß ich«, sagte Maya. »Das ist mir schon klar. Ich bin noch niemandem wie dir begegnet. Das ist eine sehr reizvolle Eigenschaft. Ich weiß nicht warum, aber die Verlockung ist so groß, dass ich ihr kaum widerstehen kann.« Sie küsste ihn. »Ich weiß, das klingt grausam. Also lass uns aufhören zu reden.«
Sie erwachte mitten in der Nacht, in einem fremden Bett in einer fremden Stadt, und vernahm den leisen Atem eines anderen Menschen. Das Gefüge ihres Universums hatte sich erneut verändert. Sie verspürte eine angenehme Erschöpfung, eine wohlige Wärme, die von dem schlafenden Mann ausging. Einen Geliebten zu haben, das war, als hätte man eine zweite Seele. Sie hatte genug Seelen für alle Männer auf der Welt.
Am Morgen bereitete sie das Frühstück. Wie vorausgesagt, hatte Emil ihren Namen vergessen. Ein rasches Gerangel im Bett brachte ihre Beziehung wieder ins Lot. Emil frühstückte und machte sich mit einem triumphierenden Grinsen an die Arbeit. Maya, die Unordnung nicht vertrug, machte sich ans Aufräumen.
Nach dem Zustand des Katalogs zu schließen, lebte Emil jetzt seit zwei bis drei Monaten allein. Das Werkverzeichnis war nicht mehr auf dem neuesten Stand. Sie würde sich darum kümmern müssen, wieder Ordnung hineinzubringen. Dies war offenbar der Preis
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