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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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dafür, mit Emil zusammen zu sein. Der unterschiedlichen Qualität der Fotos nach zu schließen, war sie die vierte in der Reihe.
    Das Aufräumen war noch aufschlussreicher. Die verschiedenen Frauen waren wie aufeinander folgende Sturmfronten durch Emils Wohnung gefegt. Haarnadeln hier. Ein einzelner zusammengeknüllter Strumpf dort. Schuheinlagen. Ein aufgebrauchter Lippenstift. Pinkfarbene Federn von einem längst verschollenen Kostüm. Eine billige Sonnenbrille. Nicht zusammenpassende Kochutensilien. Gleitmittel. Bluttests. Und natürlich die Fotos. Die Frauen hatten sich wirklich Mühe gegeben.
    »Ich fühle mich gut heute«, erklärte Emil, wie man wohl auch erwarten konnte. »Ich werde heute ein neues Stück extra für dich erschaffen, Maya. Ein Stück, das deine einzigartigen Qualitäten einfangen soll. Deine Großzügigkeit. Deine Güte.«
    »Ich bin nicht dein Tongefäß, weißt du.«
    »Aber natürlich bist du das, meine Liebe! Wir sind alle Tongefäße. Weshalb sollte man der Heiligen Schrift widersprechen?« Emil machte sich kichernd daran, einen Tonklumpen zu klopfen.
    Maya fand den Weg ins Stadtzentrum und holte ihren Koffer aus dem Schließfach. Klaudias Rucksack und ihre Reisetasche waren verschwunden. Klaudia hatte ihr eine Notiz dagelassen. Auf Deutsch. Maya konnte natürlich nicht lesen, was sie geschrieben hatte, doch anhand des eckigen Gekritzels und der zahlreichen Ausrufezeichen schloss sie, dass Klaudia rasend gewesen war.
    Maya suchte einen öffentlichen Netzzugang. Sie schloss die Kamera an und schickte Therese ihre Fotos in den Laden. Dann aß sie zu Mittag.
    Als sie sich pflichtbewusst gestärkt hatte, rief sie in Munchen an.
    »Wo steckst du?«, fragte Therese.
    »Ich bin immer noch in Prag. Was macht Klaudia?«
    »Sie ist wieder da. Sie ist außer sich. Sie macht sich Sorgen. Sie hat einen Kater. Sie fühlt sich gedemütigt. Das war nicht nett von dir, Maya.«
    »Ich habe einen Typ aufgerissen.«
    »Das hab ich mir schon gedacht ... Wann kommst du zurück?«
    Maya schüttelte den Kopf. »Therese, wenn ich mich nicht um ihn kümmere, springt er aus dem Fenster.«
    Therese lachte. »Hast du den Verstand verloren? Das ist doch ein ganz alter Hut. Sei vernünftig und komm auf der Stelle zurück. Ich habe eine Menge neuer Sachen eingekauft.«
    »Therese ...« Maya seufzte. »Du hattest Recht. Das Tete ist ein richtiger Szenetreff. Dieses Künstlervolk hat’s mir angetan. Sie werden mir zeigen, wie man lebt. Ich komme nicht nach Munchen zurück.«
    Therese schwieg.
    »Therese, hast du die Fotos gesehen?«
    »Die Fotos sind gar nicht so schlecht«, sagte Therese. »Ich könnte vielleicht was damit anfangen.«
    »Sie sind grässlich. Aber ich will Unterricht nehmen. Im Fotografieren und in VR-Design. Ich will besser werden. Ich will mir eine bessere Ausrüstung besorgen und mich ernsthaft mit Kunst beschäftigen. Ich will einer von denen sein.«
    »Bist du hier im Laden nicht glücklich, Schätzchen?«
    »Ich will nicht glücklich sein, Therese. Dazu reicht es bei mir nicht. Ich bin noch keine richtige Frau, ich muss noch lernen, ich selbst zu sein. Ich glaube, diese Künstler können mir dabei helfen. Sie haben die gleiche Sehnsucht wie ich.«
    »Du scheinst dir ja auf einmal sehr sicher zu sein. Was hat dich zu deiner Sinnesänderung bewogen? Eine Nacht in einem fremden Bett? Weshalb steigst du nicht in den Zug und kommst wieder zurück? Es geht ganz leicht.«
    »Wenn du möchtest, schicke ich dir jede Menge Fotos. Aber in den Laden komme ich nicht mehr zurück.«
    »Wenn du nicht nach Munchen zurückkommst, muss ich mir jemand anderen suchen. Dann ist hier kein Platz mehr für dich.«
    »Such dir jemand anderen, Therese.«
    »Arme, kleine Maya! Stets so ehrgeizig. Und Künstler sind ja so schick.« Therese seufzte. »Cleverness allein macht noch keine netten Leute, weißt du. Du bist sehr unerfahren, und sie könnten dir weh tun.«
    »Wenn ich nette Leute um mich haben wollte, wäre ich in Kalifornien geblieben. Ich lebe gefährlich. Ich bin eine Illegale. Ich bin unterwegs, das ist mein Wanderjahr. Du warst sehr gut zu mir, aber Munchen ist nicht mein Zuhause. Irgendwann musste ich fortgehen. Das hast du gewusst.«
    »Ja, das wusste ich«, räumte Therese ein. Sie senkte die Stimme. »Aber du stehst trotzdem in meiner Schuld. Findest du nicht?«
    »Das stimmt. Ich stehe in deiner Schuld.«
    »Ich habe dir zu essen gegeben, dich gekleidet und bei mir aufgenommen, und ich habe dich nie

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