Heiliges Feuer
gerade das Haar, verspeiste Frühstücksbrötchen und trank tierische Milch aus einer Flasche. Für eine Frau im fortgeschrittenen Alter hatte Bozhena ausgesprochen üppiges Haar. Auch ihre Zähne waren eindrucksvoll: so groß wie Grabsteine, tadellos erhalten und strahlend weiß.
»Sie sind bestimmt Bozhena. Guten Morgen.«
»Guten Morgen und willkommen im Koordinierten Zugangsbüro.« Bozhena war offenbar stolz auf ihr unbeholfenes Technikerenglisch. »Was wünschen Sie?«
»Ich brauche einen Touchscreen, um mich in einen Erinnerungspalast aus den Sechzigern einzuloggen. Mein Kontaktmann in San Francisco hat mir versichert, Sie würden die notwendige Diskretion gewährleisten.«
»Aber ja, wir sind hier im Zugangsbüro sehr diskret«, versicherte ihr Bozhena. »Und völlig veraltet! Alte Paläste, alte Burgen, Labyrinthe und Verliese! Das ist unsere hiesige Spezialität.« Bozhena fasste sich unvermittelt an den Ohrhörer, wandte sich von der Theke ab und zog sich in ein vollgestopftes Hinterzimmer zurück.
Die Zeit verstrich nur langsam. Staubteilchen tanzten in den Lichtkegeln der wenigen Deckenstrahler. Die Netzgeräte hockten so reglos da wie nutzlose Hydranten.
Vier ältere tschechische Damen, offenbar Angestellte, betraten nacheinander das Büro. Sie hatten ihr Frühstück und ihr Strickzeug dabei. Eine hatte sogar ihre Katze mitgebracht.
Nach einer Weile näherte sich ihr eine der Frauen gähnend mit einem Touchscreen, setzte ihn auf die Theke, machte ein Kreuz auf einer Liste und entfernte sich wortlos. Maya hob den Touchscreen aus der körnigen Plastikbox und pustete den Staub weg. Vom Touchscreen blätterten unleserliche Aufkleber ab. Alter präelektronischer Text, die tschechische Orthographie aus der Zeit vor der europäischen Rechtschreibreform. Kleine Kreise, eigentümliche Einschaltungszeichen, eine Unmenge von Akuten, Zirkumflexen und Betonungszeichen, sodass die Worte wie in Stacheldraht gehüllt waren.
Bozhena kam wieder herbeigeschlendert, raffte umständlich den wadenlangen grauen Rock und nahm hinter ihrem einschüchternd wirkenden Plastikschreibtisch Platz. Nacheinander wühlte sie in sechs Schubladen. Schließlich legte sie einen hübschen gläsernen Briefbeschwerer auf den Tisch und begann damit herumzuspielen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Maya. »Haben Sie zufällig Material über Josef Novak?«
Bozhenas Gesichtszüge erstarrten. Sie erhob sich und kam hinter der Theke hervor. »Weshalb interessieren Sie sich für Mr. Novak? Wer hat Ihnen gesagt, wir hätten Informationen über ihn archiviert?«
»Ich bin Mr. Novaks neue Schülerin«, log Maya lächelnd. »Er unterrichtet mich in Fotografie.«
In Bozhenas Zügen spiegelte sich tiefe Verwirrung wieder. »Sie? Warum? Novaks Schülerin? Aber Sie sind nicht von hier. Was hat der arme Kerl denn jetzt schon wieder angestellt?« Bozhena holte eine Bürste aus der Handtasche und striegelte sich mit frischer Energie das Haar.
Die Tür ging auf, und zwei tschechische Polizisten in pinkfarbenen Uniformen traten ein. Sie setzten sich an einen Holztisch, schalteten einen Bildschirm ein und tranken heiße Aufgüsse aus Pappbechern.
Auf einmal hielt Maya es nicht mehr für ausgeschlossen, dass Mr. Stuart sie geradewegs zu einer Prager Polizeistation geschickt hatte. Diese Leute waren bestimmt alle Polizisten. Das war eine Rechercheeinrichtung der Polizei. Sie war umringt von tschechischen Cyberpolizisten. Gewiss, die Netsite war antiquarisch - aber bloß deshalb, weil die tschechische Polizei denkbar schlecht ausgerüstet war.
»Kennen Sie Helene?«, fragte Maya beiläufig und stützte sich auf die Theke. »Helene Vauxcelles-Serusier?«
»Die Witwe kommt und geht«, meinte Bozhena achselzuckend und betrachtete ihre Fingernägel. »Ständig. Keine Ahnung, wieso. Für uns hat sie nie ein gutes Wort übrig.«
»Ich muss sie heute noch anrufen und ein paar Dinge mit ihr klären. Kennen Sie zufällig Helenes Netzadresse?«
»Das hier ist eine Netsite, keine Auskunft«, erwiderte Bozhena scharf. »Wir helfen Ihnen gern, wir sind offen und freundlich in Prag, wir haben nichts zu verbergen! Die Witwe aber wohnt nicht in Prag, daher geht sie mich auch nichts an.«
»Hören Sie«, sagte Maya, »wenn Sie mir mit Novak nicht weiterhelfen wollen, dann brauchen Sie es bloß zu sagen.«
»Das habe ich nicht gemeint«, entgegnete Bozhena.
»Ich kenne nämlich noch andere Kanäle und verfüge über eine Menge Kontakte, wissen Sie.«
»Das glaube ich
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