Heiliges Feuer
reden. Über alles Mögliche. Aber das ist wirklich kein guter Zeitpunkt. Ich spiele gerade mit meinem Vater Karten. Ich möchte eine solche Unterhaltung nicht vom Haus meines Vaters aus führen. Kannst du nach Bologna kommen und mich besuchen? Ich hätte dir eine Menge zu bieten. Ich möchte deine Freundin sein.«
»Vielleicht ginge das. Wie viel Geld hast du eigentlich entdeckt? Muss ich diese Schweizer Shareware-Nervensägen für das Diamantencollier bezahlen, das du mir geschenkt hast?«
»Mach dir wegen des Colliers keine Sorgen«, sagte Benedetta. »Ohrschmuck ist pleite. Sie haben zu viel verlangt, und kein Mensch hat gezahlt. Schenk das Collier einfach jemand anderem. Es fängt erst nach einem Monat an, einen zu nerven.«
»Du bist ein richtiger Schatz.«
»Ich ruf dich später nochmal an, Maya. Das war nicht nett von mir, ich geb’s zu. Wenn du mir eine Chance gibst, mache ich’s wieder gut! Aber noch was, ich kann dir eine viel bessere Online-Präsenz verschaffen - weißt du, dass du mir wie ein großer, hässlicher blauer Block erscheinst? Wo bist du im Moment?«
»Das geht dich nichts an. Hinterlass mir bei Paul eine Nachricht.«
Benedettas virtueller Mund dehnte sich überrascht. »Du hast Paul doch hoffentlich nichts von dem Palast erzählt?«
»Weshalb hätte ich Paul nicht davon erzählen sollen?«
»Schätzchen, Paul ist reiner Theoretiker. Ich bin Praktikerin.«
»Vielleicht bin ich auch eine Theoretikerin.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Benedetta. »Ganz bestimmt nicht. Oder sollte ich mich täuschen?«
Maya überlegte. »Also gut, wenn Paul nichts erfahren soll, dann hinterlass mir eine Nachricht im Tete. Ich bin fast täglich dort. Ich verstehe mich ziemlich gut mit Klaus.«
»Ist gut. Im Tete. Das ist ein guter Vorschlag. Klaus ist in Ordnung, er ist ja so diskret. Jetzt muss ich aber wirklich Schluss machen.« Benedetta morphte. Der Stuhl stellte sich wieder her, lag allerdings jetzt auf dem Boden.
Maya versuchte, den umgekippten Stuhl wieder aufzurichten. Mit den Handschuhen griff sie wiederholt hindurch; die ontologische Sinnlosigkeit fehlerhafter Software. Sie mühte sich eine ganze Weile mit dem Stuhl ab und probierte in gebückter Haltung unterschiedliche Winkel aus.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Sie blickte sich verstohlen im Büro um, ohne sich zu rühren. Die virtuelle Wesenheit sickerte durch die Wände, bewegte sich wie ein Windhauch durch ihre Projektion hindurch, entschwand durch die gegenüberliegende Wand. Ein gebrochenes Leuchten durchwaberte die rechnergenerierte Substanz.
Maya riss sich Brille und Ohrhörer herunter. Sie streifte sich die Handschuhe von den geschwollenen Fingern. Sie schaltete das Gerät ab. Dann betrachtete sie die verschwitzte Ausrüstung, voller Bedauern darüber, dass sie auf tschechischer Polizeiausrüstung eine belastende Wolke menschlicher DNS zurückgelassen hatte. Sie rieb ein wenig mit dem Ärmel an der Brille, als könnte ihr diese symbolhafte Geste etwas nützen. DNS war mikroskopisch. Die Beweise waren überall verteilt und allgegenwärtig. Die Wahrheit lag unterhalb der Bewusstseinsschwelle verborgen, genau wie die Mikroben.
Ein Verbrechen aber war erst dann ein Verbrechen, wenn man sich erwischen ließ.
Sie beschloss, den praktischen Touchscreen nicht mitgehen zu lassen.
Sie war jetzt müde, daher stieg sie in einen Zug und schlief zwei Stunden lang, während sie unter der Stadt hin und her fuhr. Dann betrat sie eine Netsite an der Malostranska U-Bahnstation und bat um Informationen über Josef Novak. Sogleich wurde seine Adresse angezeigt. Maya fuhr mit der U-Bahn zurück nach Karlovo Namesti und schleppte sich zu Josef Novaks Wohnung. Das Haus sah nicht sonderlich einladend aus. Sie zog den Stadtplan zu Rate, überprüfte zweimal die Adresse, dann drückte sie den Klingelknopf. Keine Reaktion. Sie drückte fester, worauf die defekte Türglocke in ihrem Gehäuse schnarrte.
Sie schlug mit der Faust gegen die eisengerahmte Holztür. Von innen kamen gedämpfte Geräusche, doch niemand öffnete ihr. Sie schlug fester zu.
Eine ältere Tschechin öffnete die Tür, die mit einer kurzen Messingkette gesichert war. Sie trug ein Kopftuch und eine Cyberbrille. »[Was wollen Sie?]«
»Ich möchte zu Josef Novak. Ich muss mit ihm sprechen.«
»[Ich spreche nicht englisch. Josef empfängt keine Besuche. Zumal keine Touristen. Gehen Sie.]« Die Tür wurde zugeschlagen.
Maya entfernte sich und aß etwas
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