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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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ihren Rucksack. Dann trat sie auf den Korridor. Sie wusste nicht, ob sie jemals hierher zurückkehren würde. Der Abschied fiel ihr nicht schwer.
    Sie trat auf die von Sternen erhellte Straße hinaus, betrat eine mild leuchtende Netzzelle und rief die Hilfefunktion auf. Die Netzberatung war wie immer hervorragend. Sie ließ sich mit der Netsite in San Francisco und gleichzeitig mit Mr. Stuart verbinden.
    »Was kann ich an diesem schönen Abend für Sie tun?«, sagte Stuart mit zweihundertfünfzig Millisekunden Verzögerung, aber völlig klarer Stimme.
    »Mr. Stuart, ich bin seit langem Ihr Kunde und brauche Zugang zu einem Cyberraum mit veralteten Protokollen.«
    »Also, Ma’am, wenn wir sie auf Lager haben, ist das kein Problem. Besuchen Sie mich in meinem Schuppen.«
    »Zufällig bin ich gerade in Prag.«
    »Prag ist wirklich eine schöne Stadt«, bemerkte Stuart ohne jedes Erstaunen. »Wenn der Preis stimmt, kann ich Sie verbinden, falls Ihnen die Verzögerung nichts ausmacht, ist das kein Problem. Weshalb legen Sie nicht auf und loggen sich über unseren Primärserver ein?«
    »Nein, nein - das ist sehr großzügig von Ihnen, aber ich habe mich gefragt, ob Sie hier in Prag vielleicht einen Kollegen kennen, der Verständnis hätte für meinen Wunsch nach Diskretion. Können Sie mir nicht jemanden empfehlen? In diesen Dingen vertraue ich auf Ihr Urteil. Bedingungslos.«
    »Sie vertrauen also meinem Urteil? Bedingungslos?«
    »Ja.«
    »Das ist wirklich nett. Vertrauen ist die wesentliche globale Infrastruktur. Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind?«
    »Nein. Ich würde ja gern, aber ... dafür haben Sie doch sicherlich Verständnis.«
    »Also schön. Dann will ich mal diese nützliche Geschäftsbeziehung anrufen. Ich melde mich gleich wieder.«
    Mayas zarte Fingerspitzen zuckten.
    »Versuchen Sie es mal im Zugangsbüro in Narodni Obrany in Prag Sechs. Fragen Sie nach Bozhena.«
    »Ist gut, habe verstanden. Vielen Dank.« Sie legte auf.
    Sie suchte sich die Adresse auf einem Stadtplan des Sozialdienstes heraus und machte sich auf den Weg. Es war ein langer Weg durch Dunkelheit und Kälte. Menschenleeres Kopfsteinpflaster. Geschlossene Läden. Einsamkeit. Hohe Wolken und Mondschein auf dem Fluss. Das unwirkliche Leuchten des Hradschin, der die Altstadt überragenden Burg, die so alt war wie die Aristokratie, welche einmal über Europa geherrscht hatte. All die vielen Türme des schlafenden Prag. Schmiedeeiserne Laternen, Statuen, Ziegeldächer, dunkle Torbögen und verschwiegene Durchgänge, streunende großäugige Katzen. Was für eine Stadt - ihre Geschichte war weit realer als die Stadt selbst.
    Allmählich bekam sie Blasen an den Füßen. Die Rucksackriemen schnitten in ihre Schultern. Dieser Schmerz und die Erschöpfung versetzten sie in einen Zustand der Hellsichtigkeit. Regelmäßig blieb sie stehen, peilte durch den Sucher der Kamera, brachte es aber nicht über sich, ein Foto zu machen. Sobald das Gerät ihr Gesicht berührte, zeigte ihr der Sucher bloß Lügen. Dann auf einmal fand sie die Lösung: die Linse saß weiter hinten. Alle Kameralinsen saßen hinter der Kamera. Sie bemühte sich so sehr, sich an die Welt zu binden, doch ihr eigentliches Thema lag hinter ihren Lidern.
    Am frühen Morgen hatte sie die Adresse gefunden. Sie stand vor einem abweisend wirkenden Gebäude, dessen verwitterter, noch aus der Kommunistenära stammende Beton längst zerbröselt und mit modernem, grünlichem Plastikschaum ausgebessert worden war. Es hatte noch geschlossen. An den Türen waren dezente Plakate in blau-weiß befestigt, die Maya jedoch nicht lesen konnte.
    Sie setzte sich in ein Frühstückscafe, wärmte sich auf, aß etwas, erneuerte ihr Make-up und beobachtete, wie das Leben mit dem behäbigen Klappern der Fahrräder zurückkehrte. Als die Eingangstür des Gebäudes zum vorprogrammierten Zeitpunkt aufging, trat sie als erste ein.
    Die Netsite lag im dritten Stock, am Ende der Treppe. Die Tür war noch verschlossen. Maya schleppte sich auf ihren wunden Füßen auf die Toilette, setzte sich in eine Kabine, schloss die Augen und döste ein wenig.
    Beim nächsten Versuch war die Tür angelehnt. Dahinter entdeckte sie wundervolle Gewölbedecken, Türen mit Messingklinken, in Plastik eingeschweißte Bedienungsanleitungen, uralte Geräte, miteinander durch ein Kabelgewirr verbunden. Die Fenster waren zugemauert. Die getünchten Wände waren fleckig, und in den Ecken hingen Spinnweben.
    Bozhena bürstete sich

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