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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Chutovky mit Knedliky Diese kleinen Rückschläge waren sehr nützlich. Wenn sie jedes Mal etwas aß, wenn sie ausgesperrt oder hinausgeworfen wurde, würde sie bei guter Gesundheit bleiben. Nachdem sie noch einen Pappbecher mit schmackhaftem Regierungs-Pudding verzehrt hatte, kehrte sie zu Novaks Haus zurück und klopfte erneut.
    Dieselbe Frau öffnete ihr, diesmal mit einem dicken Nachthemd bekleidet. »[Sie schon wieder! Das Mädchen, das nach Stuttgart riecht. Lassen Sie uns in Ruhe, Sie sind unhöflich, und es hat überhaupt keinen Zweck.]« Wumm.
    Eine weitere nützliche Erinnerung. Maya ging ein paar Straßen weiter zu Emils Atelier. Emil war nicht da. Seine Abwesenheit hätte sie beunruhigen können, doch aus dem Zustand seiner Küche schloss sie, dass er essen gegangen war. Sie wischte und putzte eine Weile herum, dann nebelte sie das Atelier mit gewissen Substanzen ein, die sie in Stuttgart erstanden hatte. Alsbald roch es nach frischen Bananen. Dieser Sieg über die unsichtbare Welt der Mikroben erfüllte Maya mit großer Genugtuung. Sie ging in der kalten Dunkelheit zurück zu Novaks Haus und klopfte erneut.
    Diesmal wurde die Tür von einem gebeugten weißhaarigen Mann geöffnet. Er trug eine einarmige schwarze Jacke. Der alte Mann hatte nur noch einen Arm. »[Was wollen Sie?]«
    »Sprechen Sie englisch, Mr. Novak?«
    »Wenn es sein muss.«
    »Ich bin Ihre neue Schülerin. Ich heiße Maya.«
    »Ich nehme keine Schüler an«, erwiderte Novak höflich, »und reise morgen nach Rom.«
    »Dann reise ich morgen ebenfalls nach Rom.«
    Novak musterte sie aus dem Lichtkeil hervor, der aus der kettengesicherten Tür fiel.
    » Glaslabyrinth«, sagte Maya. » Die Skulpturgärten. Die Wasser-Anima. Verschwundene Statuen.«
    Novak seufzte. »Die Titel haben auf englisch einen schlechten Klang ... Na ja, ich glaube, du solltest wohl besser reinkommen.«
    Die Wände von Novaks Erdgeschosswohnung waren eine Bienenwabe aus Holz; eine Phantasmagorie sechseckiger Regalelemente. Darin untergebracht waren Holzpuppen mit beweglichen Gliedern. Glassachen. Schnitzwerkzeuge. Federn. Weidenruten. Briefmarken. Steineier. Murmeln. Schreibfedern und Büroklammern. Brillengläser. Reliefmasken. Kompasse und Sanduhren. Medaillen. Gürtelschnallen. Billige Pfeifen und Blechspielzeug zum Aufziehen. Einige Elemente waren bis zum Platzen vollgestopft. Andere wiederum waren nur sparsam bestückt, einige wenige ganz leer. Wie ein hölzerner Bienenstock, bewohnt von einer intelligenten Rasse zeitreisender Bienen.
    Im Raum gab es Arbeitstische, aber keine Sitzgelegenheit. Der Holzboden war gebohnert und glänzte.
    Von der Treppe rief eine schläfrige Frauenstimme herunter: »[Was gibt es?]«
    »[Wir haben einen Gast]«, antwortete Novak. Er fischte ein emailliertes Feuerzeug aus seiner weiten Hosentasche.
    »[Schon wieder diese lästige Amerikanerin mit dem kurzen Haar?]«
    »[So ist es.]« Das Feuerzeug klickte, und Novak entzündete nacheinander die Kerzen eines Kandelabers, bis sechs Flammen brannten. Die Deckenbeleuchtung ging aus. Der Raum war in tiefgelbes Licht gehüllt. »[Würdest du uns einen Sitzsack herunterbringen, Schatz?]«
    »[Es ist schon zu spät. Sag ihr, sie soll weggehen.]«
    »[Sie ist sehr hübsch]«, sagte Novak. »[Für die hübschen gibt es manchmal Verwendung.]«
    Schweigen. Dann kamen zwei schwarze Sitzsäcke wie Blutwürste die kerzenerhellte Treppe heruntergeschlittert.
    Novak setzte sich auf seinen Sack und bedeutete Maya mit der Linken, ebenfalls Platz zu nehmen. Er schien mit dem Verlust des rechten Arms ausgezeichnet zurecht zu kommen, so als wäre ein Arm völlig ausreichend.
    Maya wuchtete ihren Rucksack auf den Holzboden. Sie setzte sich. »Ich möchte fotografieren lernen.«
    »Fotografieren.« Novak nickte. »Die Fotografie ist wundervoll! So real, so lebensecht. Wenn man ein Zyklop ist. Wie angewurzelt. Für eine fünftausendstel Sekunde.«
    »Ich weiß, Sie können es mir beibringen.«
    »Ja, ich habe früher Fotografie gelehrt«, räumte Novak wie unter Qualen ein. »Ich habe anderen beigebracht, wie eine Kamera zu sehen. Was für eine Errungenschaft! Schau dir doch bloß mal mein armseliges kleines Haus an. Ich war neunzig Jahre lang Fotograf - neunzig Jahre! Und was haben wir für all die harte Arbeit bekommen, die alte Frau und ich? Nichts. All die schrecklichen Wirtschaftskrisen! Die Abwertungen! Die ruinösen Steuern! Aufstände und Säuberungen! Politische Wirren. Seuchen! Bankzusammenbrüche!

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